b33
Selbstredend erheben sich da kulturhistorische
Schwierigkeiten. Zum ersten die, daß wir häufig von "reiten"
hören, nun gar von einem Herrn des Wassers bei den Pilaga in
Südamerika, der auf einem Pferde herumreist (s.Otto
Zerries, Wild- und Buschgeister in Südamerika,
p 111). Das Reiten aber ist eine sehr späte Erfindung. Zur Zeit
jener großen Völkerbewegung, die die Hyksos nach Ägypten,
die Kassiten nach Mesopotamien und die Arier nach Indien brachte,
kannte man noch keine Reiterei; dazumal war der letzte Schrei der
Streitwagen, und auch noch beim Homer werden Sie vergeblich nach einem
einzigen Reiter suchen: alle Helden bedienen sich des Streitwagens.
Aber unsere Kronzeugen, die Buschmänner, sagen ja auch gar nicht,
der Kaggen reite, sie sagen, Mantis sitze zwischen den Hörnern
von Elentier, wie das Insekten, oder auch Vögel, tun können.
Daß man, nachdem sich das Reiten herumgesprochen hatte, allenthalben
aus einem "sitzen auf" ein "reiten" gemacht hat,
ist nicht besonders schwer einzusehen.
Den zweiten Stein des Anstoßes bilden
die "Kisten und Kasten", die Gehege und Einfriedungen, in
denen Tierarten gehalten werden, und. generell die Vorstellung von
Wildtieren als den "Herden" von Geistern. Denn auch hier
erhebt sich die Frage, ob die Konzeption von Tier "Hirten"
denkbar gewesen sei, ehe man von der Wildbeuterei via Hochkultur,
zu Tierzucht und Herdenhaltung übergegangen war. Die sprachlichen
Formulierungen: Hirt, Gehege, Einfriedung, sind klärlich spät
und setzen die Kenntnis von Tierhaltung voraus, aber das muß
nicht bedeuten, daß die Vorstellung von irgendwelchen abgegrenzten
Gebieten, von gleichwelchen "Behältern" unbedingt eine
junge und aufgepropfte sein müsse; die Schweifgebiete von Wildbeutern
haben durchweg klare Begrenzungen. Daß es sich bei den Behältern
um Himmels Abschnitte handelt, scheint unverkennbar, besonders angesichts
des Polarsterns der Tschuktschen,
der alle wilden Tiere in "trunks" hält. Daß das
Feld des Fuchsherren der Chiriguano
sich in Scorpius
befindet, hatten wir ja eben gehört. Dass nur die sprachliche
Formulierung aus später Zeit stammt und nicht die Konzeption
als solche, erhellt u.a. daraus, daß die ausgestorbenen Maluti
Buschmänner im Basutoland den "Hirten des Wildes" kennen,
wie auch die Ituri und Gabun Pygmäen (HB 1939, 221, Nr.17, Nyama,
Paideuma.4,
p197- 99, p225). Die Efe-Pygmäen vom Ituri nennen das Wild geradeheraus
"die Ziegen der Gottheit"; bei der "Gottheit"
handelt es sich um das Chamäleon, das hier die Stelle von Mantis
vertritt (op.cit.214); die Maluti Buschmänner sagten von ihrem
Cagn, er wohne dort, "wo die Elands wie Vieh in Hürden wohnen"
(p213, Schöpfung 8); bei den Kamb heißen die Elefanten
"Geistervieh" und von dem einbeinigen Luve der Ila in Nordrhodesien,
der auf einem Eland sitzt, heißt es, die Antilopen seien sein
Vieh. Das sind nicht übermäßig viele Zeugnisse, aber
sie reichen aus; in Australien weiß ich noch viel zu wenig Bescheid,
um Ihnen diesbezüglich Rede und Antwort stehen zu können.
b34
Alle anderen Belege stammen aus Einflußgebieten
der Hochkultur, wenn nicht direkt aus der Hochkultur. Die kaukasischen
Abchasen nennen den Wildherren den "Hirten allen Wildes"
(Friedrich: Knochen?? p196), die Finnen nennen die Hirsche
"Tapios Herde" (Paulson 160), den Schweden gelten Elche
und Bären als Schweine und Ochsen des Waldherren (Rooth in "The
supernatural owners of nature", p122), die Wölfe als Haustiere
der Waldfrau (Edsmann,
ibid p31). In Yukatán sind Hirsche die "Haustiere"
der Zip Geister (Josef
Haekel, Mitt. Hamburg 25, p61), bei Kekchi Abkömmlingen
in Zentralamerika hörten wir von Xulab /Venus, er halte Hirsch,
Peccari, Antilope,Truthahn usf. in Gehegen und habe für diese
seine Tiere ein eigenes Maisfeld angelegt (Haekel p62). Baumann stellt
fest (1939,214 A.2): "Die Idee vom Wild als der Herde des Wildgeistes
ist weithin zu finden, außerhalb Afrikas u.a. bei den Birhor
in Chota Nagpur,' in Indien also, wo es außer Hindus und Mohammedanern
eben auch noch sog. "Primitiv Stämme" gibt, die keine
sind. Wenn ein Munda Volk wie die Birhor und ein Kaukasus Volk wie
die Abchasen gemeinsame Formulierungen für eine Erscheinung haben,
so darf man, meiner Erfahrung nacht hohe Wetten eingehen, daß
sich die Iren ihnen zugesellen, und diese Erfahrung bestätigt
sich auch hier. Die irischen sogenannten "Elfen", d.h. die
Tuatha De Danann, die den Titanen der Griechen entsprechen, den Vanen
der alten Teutonen und für die der Titel "Elfen" höchst
unpassend ist, diese Tuatha Du Danann sind Eigentümer der Hirschherden
(J.
A.Macculloch, Mythology of All Races p129), und als Diarmaid in
Übersee eine Hindin erlegt und verspeist, erscheint der Hirsch-Eigner
Gruagach und ruft: "Is not Erin wide enough for you to live in,
instead of coming hither to steal my herds from me?" (J.
Curtin: Hero Tales, p520). Und daher hat im Zweifelsfall Schiller
seinen Alpenjäger, worinnen der Berggeist dem Gemsenjäger
zuruft: "Raum für alle hat die Erde, was verfolgst du meine
Herde?".
Der Bogen vom Cagn der Maluti Buschmänner
bis zu Schillers Alpenjäger ist unanständig groß.
Der schon einmal zitierte schwedische vergleichende Mythologe Waldemar
Liungman hat da einmal ein halbwegs brauchbares Bild gebraucht
("The supernatural owners of nature", p82): "Wenn wir
auf den Straßen Stockholms einem Herrn in einem gut geschnittenen
Stadtpelz sehen und uns die Frage stellen würden, ob der Pelz
das Erbe der Tierhautkleider der Steinzeit oder eine Mode aus Paris
sei, dann müßte jeder vernünftige Mensch antworten:
'Beides, aber der Schnitt ist aus Paris'. Das ist genau die Antwort,
die wir betreffs der Bärenaufzüge gegeben haben." Soweit
Liungman. Der "Schnitt" von rund 70% unserer Wildgott Geschichten
stammt aus den Ateliers der Hochkultur, die Substanz aus der Steinzeit.
Strikt beweisen läßt sich die Planeten
Natur der Herren der Tiere (n i c h t der Herren der einzelnen Tierarten)
vorläufig nicht. Was u.a. dafür spricht, sind die nach hinten
gerichteten Füße, bzw. das Rückwärtsgehen, das
nicht nur dem Corupira der Tupi eignet, sondern zahlreichen anderen
Busch und Wassergeistern Südamerikas (s.
Otto Zerries, Wild- und Buschgeister in Südamerika,
p284 f., Alexander in MAR 11, p300, p327, Teschauer op.cit. p26),
einigen Jagdgeistern der afrikanischen Elfenbeinküste (HB 226
f.) und, bei den Bribri in Costarica, unpassender Weise einem Herren
einer Gattung (O. Zerries, Mitt. Hamburg 25, p145 B); dort ist der
"König aller Hirsche selbst ein gewaltiger Hirsch mit enormem
Geweih. Sein Hals ist sehr lang und gekrümmt, so daß der
Kopf des Tieres auf seinem Hinterteil ruht und nach hinten schaut.
Auch geht der Hirsch rückwärts." (Wobei ich mir in
Klammern die Frage erlaube: Welches "Tier" wird, bzw. wurde
in unserem Kulturkreis konstant mit rückwärts gewandtem
Kopf abgebildet? Der Tierkreis-Widder).
b35
Das "rückwärts" in die
"verkehrte" Richtung gehen, ist kein der irdischen Fauna
abgegucktes Phänomen. Rückwärts bewegen sich, bzw.
scheinen sich zu bewegen, die Planeten in Beziehung zum Fixsternhimmel.
Im Seminar werden wir bei Behandlung des Timaios und der einschlägigen
Kommentare genug über diesen Befund hören. Um ihn zu illustrieren,
haben in Rom den Vitruvius
(Marcus V. Pollio), Ende des 1.Jh. v.Chr.),9.1.15, p.423, cf.
J.Needham
3,p214 f.; Forke: Lun
Heng 1,p266 f.), in China Wang
Chhung (um 83 n.Chr.) sich des beinahe
gleichen Bildes bedient. Sagt der Vitruvius:"Wenn man auf eine
Scheibe, wie Töpfer sie verwenden, sieben Ameisen setzt, auf
der Scheibe um ihren Mittelpunkt konzentrisch ebensoviele Rillen macht,
die vom Mittelpunkt bis zum Rande länger werden, und wenn man
die Ameisen zwingt, in ihnen im Kreise herumzulaufen, und die Scheibe
in entgegengesetzter Richtung dreht, so müssen die Ameisen trotzdem
entgegen der Drehung der Scheibe in der Gegenrichtung ihren Weg bis
ans Ende zurücklegen, und diejenige, die die dem Mittelpunkt
zunächstliegende Rille hat, wird diese schneller durchlaufen.
Die Ameise aber, die die äußerste Kreisrille der Scheibe
durchläuft, wird, wenn sie auch gleich schnell läuft, wegen
der Größe der Rille viel langsamer ihre Bahn vollenden.
In ähnlicher Weise vollenden auch die Planeten, indem sie sich
entgegen der Bewegung des Weltalls bewegen, in ihren besonderen Bahnen
ihren Kreislauf, werden aber infolge der Umdrehung des Himmels in
entgegengesetzter Richtung rückwärts getragen im täglichen
Kreislauf der Zeit.". Bei dem chinesischen Wang Chhung heißt
es speziell von Sonne und Mond: "Their movment may be compared
to ants crawling on a rolling millstone. The movements of the Sun
and Moon are slow, while heaven moves very fast. Heaven carries the
sun and moon along with it, so that they really move eastward, but
are turned westward".
Räumen wir so moderne gadgets wie Töpferscheibe
und Mühlsteine beiseite: wir müssen uns an die in 95% aller
Fälle gültige Faustregel halten, wonach man nur solches
für jungpaläolithisch erklären darf, was sich bei den
Buschmännern findet, die dann ja auch, wie es sich gehört,
Felsbilder gemalt haben, solche frankokantabrischen wie solche des
sog. ostspanischen Stiles. Deswegen ist es ja so befriedigend, daß
die Maluti Buschmänner von "Hürden" der Elentiere
reden und die Khan-Buschleute (Namibia) Mantis zwischen den Hörnern
von Elentier sitzen lassen. Die hier fälligen Fragen lauten also:
1) was die Buschmänner von Planeten wissen, ob sie sie sie überhaupt
kennen, 2) welcher der fünf Mantis sein könne, von dem in
einer langen Mythe über den Allverschlinger berichtet wird, er
sei Linkshänder?. Daß er sich als Wildherr auf die
Wiederherstellung getöteter Tiere aus ihren Knochen versteht,
geht aus zahlreichen Stories(s.a. W.
H. I. BLEEK) hervor, die aber zu lang und zu kompliziert
sind, um hier wortwörtlich vorgeführt zu werden. Besonders
bemerkenswert aber ist ein Fall, wo er seinen getöteten Sohn
aus dessen Auge wiedererstehen lässt.
b36
Von diesem Sohn, !Gaunu heißt es:!Gaunu
war früher ein großer Stern ... Er war der, der einstmals
Sternennamen aussprach, er war ein Großer. Daher rief er Sternnamen.Daher
besitzen die Sterne ihren Namen, während sie fühlen, daß
!Gaunu der war, der ihre Namen rief" (K.
Woldman p15, Specimens of Bushman Folklore p78 f.). Er wurde von
Pavianen getötet (Specimens of Bushman Folklore p17-37, Woldman
p98-104), und die spielten dann mit seinem Auge Ball. Mantis schaltete
sich in das Ballspiel ein und erwischte auch wirklich das Auge. "Dann
warf er das Auge den Pavianen zu. Es stieg empor, ging am Himmel umher.Die
Paviane konnten gewahren, wie es oben an Himmel spielte." Darauf
verschwand das Auge im Pfeilköcher von Mantis. Die Paviane verprügelten
daraufhin den armen Mantis, aber er entkam nebst Köcher und dem
darin enthaltenen Auge. Die Paviane "sahen ihn aufsteigen.Er
flog hinauf, flog ans Wasser und legte das Auge des Kindes hinein.'Du
musst herauswachsen', sagte er, 'du mußt so werden, wie du vordem
gewesen bist!' Er trug das sehnliche Verlangen, daß das Kind
lebend zurückkehren sollte." Und das funktionierte auch.
"Er, der junge Mantis, stieg aus dem Wasser herauf." Dem
Wasser "oben", wohlgemerkt, Mantis war ja selbst nebst Köcher
und Auge" aufgestiegen, er flog hinauf." Auf das Auge kommen
wir gleich kurz zurück.
Die einzige Mär, die expressis verbis
von einem Planeten handelt, ist skandalöser Weise nirgends vollständig
publiziert worden, sondern nur in Auszügen und per Summary. Sie
handelt in der Hauptsache von der Ehefrau des Jupiter, die infolge
einer Vergiftung in einen Luchs verwandelt wird. Die Story beginnt
mit der Feststellung, Jupiter, genannt "Dämmerungsherz"
habe eine Tochter, die vor dem Jupiter aufgehe. Zu der Zeit, als Bleek
die Geschichte aufschrieb, war die Jupiter Tochter, genannt "Dämmerungsherzkind",
alpha Leonis, d.i. Regulus. Jupiter verschlingt diese Tochter und
speit sie später wieder aus. Näher wollen wir uns auf die
mysteriöse Mär hier nicht einlassen.Es genügt zu wissen,
daß die Buschmänner Planetenbewegungen zu "erzählen"
verstanden. Nirgends teilt man uns mit, wer wohl Mantis sein könne,
aber Selbstverständlichkeiten werden eben nie mitgeteilt, was
die Kulturgeschichte so schwierig macht. Der Jupiter ist Mantis mit
Sicherheit nicht, dagegen sprechen wenige aber gravierende Momente
für den Merkur.
Kaggen und die ihm entsprechenden, meist insektengestaltigen,
Wildgeister anderer Buschmann und Pygmäenvölker (Gabun,
Ituri, Kivu) sind "eulenspiegelartige Tricksterwesen", um
es mit Baumann zu sagen, der eine Liste der Charakteristica von Buschmann
und PygmäenWildgeistern aufgestellt hat (1939, 221, 218). Der
kleine Gewitzte, der seinen Mitkreaturen jede Art von Schabernack
spielt und dank seiner Listigkeit und seiner Schnelligkeit aus jedem
Schlamassel doch wieder heil herauskommt, ist generell der Merkur;
er wird später zum besonderen Schutzherren der Diebe und ist
Ihnen aus Märchen über den "Meisterdieb" bekannt.
(Damit Sie nicht wähnen, selbiges Märchen sei der deutschen
Volksseele entquollen: zum ersten Mal schriftlich fixiert hat die
Geschichte der Herodot, die Ägypter hatten sie ihm erzählt,
485-425 v.Chr.).
b37
Mantis und seinesgleichen ist, wiederum mit
Baumann, "Prophet, Seher und Orakelwesen"; bei den Kung
Buschleuten in SW Afrika (heutzutage Namibia geheißen) heißt
das Würfelorakel direkt nach dem dafür zuständigen
Khn (s. Baumann, 218 A2):"Dieses Würfelorakel ist fraglos
so alt wie die Jägerkultur selbst, das zeigt die afrikanische
Verbreitung deutlich." Der Merkur ist später der tricksterhafte
Herr des westafrikanischen Orakelbrettes; in der Gestalt des Fenek,
des winzigen Wüstenfuchses, fungiert er als Orakelgott bei den,
später noch zu erwähnenden, Dogon im Nigerbogen; daß
er dort als die wichtigste kosmogonische Potenz fungiert, sei nur
beiläufig erwähnt. Bei unseren teutonischen Vorfahren war
Merkur/Odin zuständig für das Würfelspiel, und noch
unser junges Schachbrett mit seinen 64 Feldern repräsentiert
das magische Quadrat des Merkur (Orakel der !Kung s.Lorna
Marshall,
Africa XX, 32,1962, p222 f.; s.a.Schmidt UdG 4,572 ff.)
Kaggen bezeichnet sich, anläßlich
der Wiederbelebung seiner getöteten Schwester Blau-Kranich als
"Tinderbox", Feuerzeug. Der ihm entsprechende Tore bei den
Ituri Pygmäen gilt als Bewahrer des Feuers (Paul
Schebesta bei HB 1939, 218). Ich bin den Feuer Mythen bei
den Wildbeutern noch nicht nachgegangen, muß Ihnen also weiteres
Material schuldig bleiben. (Nur in Klammern sei die Stammkundschaft
daran erinnert, daß die ausgestorbenen Wildbeuter von Tasmanien
behaupteten, sie hätten das Feuer von alpha/beta Geminorum erhalten).
Aber das babylonische Götterpaar Bilgi und Nusku, "gods
of fire... the companions of Shamash (der Sonne)...represent the seventh
planet Marcury" (Lewy, Hildegard and Julius. "The God Nusku,"
Orientalia, vol. 17 (1948), pp. 146-59.f.; s.a.Hommel:
Grundriss 87,A.5, 121).Welcher von beiden, Bilgi und Nusku, Merkur
als Morgenstern, und welcher Abendstern sei, scheint noch ungeklärt.
Der homerische Hymnos an Hermes erklärt (111): "Hermes erfand
als Erster das Feuerzeug und das Feuer". Was natürlich nicht
heißt, Merkur sei der einzige Feuerbringer, wie Sie noch sehen
werden. Aber sein größter Konkurrent, Saturn/Prometheus,
kommt als Urbild der Mantis überhaupt nicht in Frage: der Trickster
gehört definitiv nicht zu den Rollen des Saturn.
Besonders bedenkenswert ist, daß Mantis
aus dem Auge, dem Ball, seines Sohnes !Gaunu wiederbelebt, weil es
in Ägypten Thot/Merkur gewesen ist, der das beschädigte
und verlorene Horus Auge wieder repariert, wieder "voll macht".
Auf das verlorene Auge müssen wir im Seminar zurückkommen,
aber es ist besser, schon jetzt zu bekennen, daß vorderhand
nicht herauszukriegen ist, was so ein "Auge" präzise
meint; sicher ist nur, daß es sich nicht so simpel um Mondphasen
handelt, wie "nahe" eine solche Lösung auch liegen
möge, allein die entscheidende Mitwirkung des Merkur schließt
das aus.
Was die Linkshändigkeit anlangt,
durch die sich Mantis auszeichnet, so ist das Material äußerst
dürftig, ich habe aber auch noch nicht direkt danach gesucht,
da solche speziellen Fahndungsaktionen jeweils Monate, wenn nicht
Jahre verschlingen. Auf dem polynesischen Tahiti, also im Hochkulturgebiet,
ist der kriegerische Merkur das linke Auge Ateas, die friedliche Venus
das rechte, und der aztekische Kriegsgott Uitzilopochtli, dessen Name
"Kolibri von links" bedeutet, reimt sich auch nur auf den
Merkur. Damit ist kein Staat zu machen, ebensowenig damit, daß
der große Wildgeist bei den Kung Buschmännern in SW Afrika
(L. Marshall,op.cit.223) sieben Namen hat. Zwar wird der babylonische
Merkur/Nabu, direkt "der Planet mit sieben Namen" geheißen
(Peter
Jensen: Die Kosmologie der Babylonier. Studien und Materialien,
p47), und auch der chinesische Merkur soll, laut Léopold
de Saussure (p436) sieben Namen haben, aber mindestens ebenso
häufig, wenn nicht häufiger, tritt der Mars als der Sieben
Namige auf, und ein verständiger Zuhammenhang zwischen Sieben
und Merkur Perioden lässt sich vorderhand nicht herstellen.
b38
Bei diesen unzulänglichen Daten wollen
wir es bewenden lassen; die betonte Tricksterhaftigkeit des Kaggen
und seine Herrschaft über das Wurforakel überzeugen mich
ausreichend von seiner Merkur Natur, aber das braucht Sie ja nicht
zu kratzen. Natürlich ist es ausgemacht fatal, daß man
sich der Buschmann Mythologie erst angenommen hat, als es schon zu
spät war; die Buren haben es vorgezogen, sie abzuknallen. Es
muß, über die Fragmente der Mär von Jupiter/ Dämmerungsherz
hinaus auch andere Mythen gegeben haben, in denen die handelnden Personen,
und ganz speziell der Merkur, bei ihren Planetennamen genannt wurden.
Das ist umso wahrscheinlicher, als die den Buschmännern besonders
nahestehenden Hottentotten den Merkur "Tagesanbruchstern"
nennen (Joseph Wischnewski, Afrikaner und Himmelserscheinungen p55;
nach Leonhard
Schultze: Aus Namaland und Kalahari, Jena 1907, p367), und von
der Venus wissen, daß sie Morgen und Abendstern ist (Joseph
Wischnewski, Afrikaner und Himmelserscheinungen, p59). Als Morgenstern
heißt sie "die Vorläuferin".Daneben ist noch
eine, typisch Venus-hafte, Bezeichnung üblich, nämlich "Stern,
bei dessen Erscheinen die Männer davoneilen, um nicht in unrechtmäßigem
Liebeslager vom Tage überrascht zu werden... Als Abendstern heiß
sie .... "der Abendflüchtige"."
Beweisen, wie gesagt, lässt sich die Planeten
Natur der Menschen oder Insektengestaltigen Wild Eigner nicht.Wenn
wir aber die Hypothese für einmal gelten lassen, könnte
man einen Vorschlag hinsichtlich unserer frankokantabrischen Felsbilder
wagen. Von den Abchasen hatten wir gehört, ein Jäger könne
kein Wild erlegen, dessen "Schatten" nicht zuvor in der
Oberwelt von dem menschengestaltigen Tierherren getötet und von
seiner Familie verspeist worden sei; von dem "Great father up
in the sky" der nordaustralischen Murngin,
er esse die Tiere und, stapele deren Knochen auf; allerdings sagen
die Murngin, er lasse, grad zu Fleiß, keine Knochen auf die
Erde fallen, aber täte er's wirklich nie, so gäbe es ja
keine Känguruhs, Iguanas, Fische usf.. Von den Serente vernahmen
wir, daß gute Jäger von Mars und Venus ausgebildet wurden,
und generell verleihen ja diese Wildherren das Jagdglück ob nun
mit oder ohne kräftige Nachhilfe mit Tabak oder Brandy. So möchte
es doch wohl denkbar sein, daß die frankokantabrischen Menschen
und Mischwesen Figuren z.B. der sog."Zauberer" von
Trois-Frères und der sog."Vogelmann" von Lascaux
keine "Zauberer" und "Priester" darstellen, wie
die gängige Interpretation lautet, sondern Planeten.
Das könnte dann bedeuten, daß die realen Jungpaläolithiker,
die auf die Bärenkalotte schossen, oder Pfeile auf Tierbilder,
besonders Bärenbilder, malten, auf diese Weise den Tierseelen
besitzenden Planeten nahelegen wollten, nunmehr in der Oberwelt ein
paar Exemplare der jeweils erwünschten Tierart zu erlegen, bzw,
freizugeben, und sie dem Jäger unverweilt vor den Speer zu schicken.
Das ist ein unverbindlicher Vorschlag; zum Aufstellen veritabler Theorien
ist es noch viel zu früh. Aber die von Frobenius beobachteten
Kongo Pygmäen gingen ja auch nicht auf die Jagd, ehe nicht der
erste Sonnenstrahl und gleichzeitig ein Pfeil das Bild der Antilope
getroffen hatte. Von "primitiver Jagdmagie" kann die Rede
nicht sein.
b39
Was lässt uns nun das wenige hier behandelte
Material unmißverständlich wissen? Zunächst und am
wichtigsten: daß man "den Himmel" zum Schauplatz ungezählter
poetisch aufgefasster Geschichten macht", wie es der neulich
zitierte südafrikanische Ethnologe Schapera
mit Berufung auf Bleek feststellte. M.a.W. die Buschmänner, bzw.
ihre wildbeuterischen Vorfahren haben w e n i g s t e n s den Grundstein
zur Fachsprache gelegt, sie haben Himmelsbewegungen "erzählt".
Wobei ein paar Bemerkungen zur Verfahrenstechnik zu machen sind:
Die Struktur der Welt lässt sich nur in
mathematischen Formeln ausdrücken. daran sind wir seit Jahrhunderten
gewöhnt. Die einzige andere mögliche Technik ist die, zu
erzählen, wie es zu dieser Struktur gekommen ist. Früher,
once upon a time, heißt es dann, waren die Dinge so und so,
dann aber passierte etwas, und seither sind sie so und so (Todesursprungsmythos).Dabei
ist der dargestellte "Urzustand" auf gar keinen Fall ernst
zu nehmen, er ist nicht etwa "geglaubt" worden, jedenfalls
nicht von dem brain trust, der die mythische Fachsprache konstruierte.
Der Urzustand dient dazu, um das jetzige So Sein der Welt davon abzuheben.
Wenn Sie die Schiefe der Ekliptik erzählen wollen, so schildern
Sie den Urzustand, als Äquator und Ekliptik und deren Achse noch
beisammen waren, Vater Himmel und Mutter Erde noch vereint, und lassen
die Welteltern dann getrennt werden; in beinahe allen Fällen
besorgt das der äußerste,"höchste" Planet
Saturn. Noch Milton hat in "Paradise Lost" die Schiefe der
Ekliptik auf mythische Manier "erzählt". Nach diesem
Muster wird allenthalben verfahren. Später, und most sophisticated,
erzählt Platon die Struktur des Kosmos, indem er den Demiurgen
eine Armillar-sphäre
bauen lässt.
Wie es in der "Urzeit" oder "Traum-Zeit"
der Wildbeuter angeblich hergegangen ist, darüber werden unterschiedliche
Formulierungen gebraucht. Bei den Buschmännern gab es früher
nur die "Early Race", das sogenannte Urbuschmanngeschlecht,
das waren Sterne, Tiere, Regen, Wind, Sonne. "The stars were
formerly peoplell (Short Account 8). "The Frog was a person,
the Blue Crane was a person.They were people of the Early Racelt (Mantis
26). Die Südaustralier sagen (Smyth,
Smyth,
R. Brough, Vol. 1, p431):"The stars were formerly men.The
progenitors of the existing tribes whether birds or beasts or men
were set in the sky, and made to shine as stars if the deeds they
had done were mighty, and such as to deserve commemoration. The Eagle
is now the planet Mars (vgl. p460), and justly so, because he was
war like, and much given to fighting. (Die Sterne waren früher
Menschen. Die Vorfahren der verschiedenen Stämme ob Vögel,Tiere
oder Menschen wurden in den Himmel gesetzt, wo sie als Sterne leuchten,
wenn sie große Taten verrichtet hatten und solche, die es verdienen,
erinnert zu werden. Der Adler ist jetzt der Planet Mars, und das mit
Recht, denn er war kriegerisch und, dem Kampf ergeben).
b40
Bei den Toba und ihren Nachbarn im Gran Chaco
gingen "beim Sintbrand ... verschiedene Menschen und Tiere, wie
Strauß, Hund und Viscacha als Sternbilder an den Himmel... Die
auf Erden verbliebenen Menschen kamen nach dem Brand mit einer Ausnahme
als Tiere wieder zum Vorschein, nachdem sie sich in Höhlen verborgen
hatten", m.a.W. vor dem Sintbrand, in der Urzeit gab es auch
bei den Toba eine "Early Race", alle Wesen waren gleich,
und erst anlässlich des Sintbrandes erfolgte die Trennung in
Sterne, Tiere und Menschen.Wir hatten ja auch von den Serente gehört,
"In den Tagen als der Sonnengott noch auf der Erde weilte, waren
alle Tiere Menschen", und in der Sipaia Geschichte vom zwerghaften
Herrn der Wildschweine hieß es, ursprünglich seien alle
Wildschweine Menschen gewesen.
Von den nordaustralischen Murngin erfahren
wir (William
Lloyd Warner, p543):"Inside
the world there are plenty of black men.They sit down inside.... Im
Innern der Welt gibt es viele schwarze Menschen. Sie sitzen drinnen.
Wir leben oben drauf (on top). Unsere alten Leute denken, daß
es oben in den Sternen eine andere Welt gibt. Die Welt, in der wir
leben, ist eine zweite Welt, und da ist noch eine andere innerhalb
von unserer.Das Land ganz im Innern ist ganz wie unseres. Oben (in
den Sternen) leben die Wongar Menschen, hier leben gewöhnliche
Menschen und darunter leben solche, die beinahe so wie Menschen sind.Sie
haben sehr große Zähne und einen sehr großen Mund."
Die Wongar Menschen, die oben/draußen leben, in the stars, sind
die australische Early Race. Die Redewendung "in the time of
Wongar" erläutert Warner
(p592): "Wongar Zeit bezieht sich auf die mythologische Periode,
als die Totems die Erde bewohnten und häufig wie Menschen waren.
Wongar Menschen und Wongar Tiere sind Totem Vorfahren und Totemtiere."
Bei welcher Gelegenheit Sie gleich lernen können, daß,
Totemvorfahren, ob menschliche oder tierische, Sterne waren und nicht
anderes. Die Behauptung ungezählter Reisender, Psychologen und
Ethnologen, zig Stämme in allen Kontinenten "glaubten nämlich",
von terrestrischen Papageien, Krokodilen, Känguruhs,Wölfen
etc.abzustammen, diese Behauptung ist unzutreffend. Mancher kleine
Moritz, an denen es nirgends und niemals gehapert hat, mag derlei
"glauben", wie denn 90% unsere Zeitgenossen den allerärgsten
Unfug glauben. Die "Erfinder" des Totemismus verstanden
unter den "Tieren" von denen sie abstammten, Sterne: Die
Wongar leben "up above...in the stars"; die Murngin sagen
das deutlich, es hört ihnen halt keiner zu.
Die Wildbeuter also, die letztlich aus dem
Jungpaläolithikum, stammen, sprechen eine Fachsprache, die im
Zweifelsfall ihre fernen Vorfahren geprägt haben. Wir verstehen
sehr wenige ihrer Stories, am wenigsten die der Buschmänner,
und das ist nicht etwa nur meine private Meinung. Baumann sagt z.B.
(Schöpfung 8):"Während fast alle Formen des Negermärchens
und Mythus uns durch die europäischen Volksmärchen und Mythen
vertraut und verständlich erscheinen, stellen sich uns hunderterlei
Schwierigkeiten beim Verständnis eines Buschmannmärchens
entgegen, die selbst der beste Kenner, Bleek, nur zu oft nicht zu
lösen vermochte." (S.7):"Immer sprengen die in unserem
Sinne absurden, grotesken Einfälle den Rahmen des bei Negervölkern
Gewohnten. Alles ist anders die Wandlungen von Tier und Mensch, die
Gewalt über die Gestirne, die Abenteuer der Seele, die Funktion
des Körpers usw."(Vke 84):"Angesichts ihrer religiösen
Vorstellungen, ihres magisch beherrschtenn Denkens und ihrer ungehemmten
Phantasie scheint es uns fast, als ob die Neger uns zeitlich so nahe
gerückt werden, wie die Buschmänner uns immer mehr in die
Vorzeit des Menschentums entgleiten."
b41
Dieser "Eindruck" ist richtig. Aber
stimmt es, daß wir, lassen wir die Negermärchen beiseite,
'unsere Mythen und Märchen verstehen? Baumann sagte ja auch vorsichtig,
sie erschienen uns vertraut und verständlich. Wir sind an sie
gewöhnt, das ist alles. Und die Stories von Buschmännern,
Tschuktschen, Naskapi, Südaustraliern muten uns fremd an. Eben
darum, weil ihr Timbre so ungewohnt ist, lassen wir sie jetzt auf
sich beruhen: auch ein oberflächliches "Sich hinein Lesen"
würde zu viel Zeit verschlingen. Ich möchte nur bemerken,
daß ich auf die kosmologische Fachsprache erst gekommen bin,
d.h. von dem Material darauf gestoßen wurde, nachdem ich viele
tausend. Seiten polynesischer Mythen gelesen hatte und zu der deprimierenden
Überzeugung gekommen war, daß ich schlechterdings nichts
verstand. Von den Polynesiern aber, den besten Navigatoren unseres
Planeten, mußte man erwarten, daß ihre, erschrecklich
vielen, auf das sorgsamste überlieferten Mythen "Sinn"
machten; was sie natürlich auch tun, genau so wie die der Buschmänner,
mögen die sich auch noch so fremd ausnehmen.
Was wir weiter gelernt haben: eine unauflösliche
Zusammengehörigkeit und Interdependenz himmlischer und irdischer
Phänomene ist im Wildbeutertum konzipiert, Sternbilder sind geprägt,
Sternaufgänge mit dem Jäger und Sammler Jahr gekoppelt,
Brutplätze von Tierarten mit den Namen der entsprechenden Tierkonstellationen
benannt worden. Planeten sind bekannt; von einer Betonung der Fünf
oder aber, unter Einbeziehung von Sonne und Mond, der Sieben kann
die Rede nicht sein. Venus und Mars treten als Tierherren auf, Jupiter
gehört bei den Serente zur Sonnenklasse und spielt eine gewichtige
Rolle in der Kham-Buschmannstory vom Dämmerungsherz. Saturn und
Merkur sind uns expressis verbis nirgends im Wildbeuter Mythos begegnet,
was mich wenig beeindruckt und mich auch nicht davon abschreckt, die
Mantis für den Merkur zu nehmen.
Sollte es ein System der Zuordnung von Planeten
zu Sternbildern gegeben haben, was angesichts der Vorliebe von Kaggen
für sein Eland und später für Hartebeest, angesichts
der "Felder" von Fuchs und Tapir in Scorpius und Sagittarius
Sternen bei den südamerikanischen Chiriguano und angesichts der
diversen bevorzugten "Reit- Tiere" der Tiereigner denkbar
wäre, so kann man ein solches, wenn schon denkbares, System aus
der trümmerhaften Tradition zufriedenstellend nicht rekonstruieren.
Jetzt jedenfalls noch nicht.
Von einer präzisen Einteilung in Himmelszonen,
von einem Gradnetz, ist wenig bis nichts zu bemerken; die diversen
Anspielungen auf Gehege, Kisten, Hürden sind zu vague; ausschließen
aber kann man die Möglichkeit eines, wie auch immer gearteten,
Koordinatensystens nicht. Verdächtig ist da z.B. das Wasser "oben"
in das Mantis das Auge seines wiederherzustellenden Sohnes !Gaunu
legt.
b42
So viel wird man erst einmal sagen dürfen,
1) daß die Fixierung auf den Sternenhimmel ihren Ursprung dem
Eindruck verdankt, den die erkannte Regelmäßigkeit der
zyklischen "Heimkehr" die Buschmänner formulieren mit
Vorliebe "Rückkehr" von Sternen und Planeten gemacht
hat, 2) daß diese sehr viele Jahrtausende währende Fixierung
auf die einzig periodisch zuverlässigen Phainomena, die Sterne,
auf das Jungpaläolithikum zurückgeht. M.a.W. der homo sapiens
hat anscheinend spornstreichs nach seinem Ins LebenTreten begonnen,
den Sternhimmel sorgsam zu beobachten und ihn als eine verläßliche
Uhr zu verstehen, die die Stunde für alle irdischen Vorgänge
anzeigt, besser: diktiert.
Das ist bedeutsamer, als Sie auf Anhieb gewahren.
Wir haben es von Beginn an mit einer Uhr zu tun, und Zeit ist die
einzige Dimension, die in alten Zeiten gezählt hat. Das ist
für uns, die wir auf Raum und optische Wahrnehmung gedrillt sind.,
schwer zu realisieren. So reden wir denn immerfort von Welt "Bild",
von Welt "Anschauung", anstatt die Kunst der Fuge zu assoziieren.
Es ist ja doch das Ohr, das Zeit und Rhythmus wahrnimmt. Sie haben
ja auch mal, gelernt:"Die Sonne tönt nach alter Weise in
Brudersphären Wettgesang, und ihre vorgeschriebne Reise vollendet
sie mit Donnergang", und Sie haben im, 19.Psalm vernommen: "Die
Himmel sprich: die Planetensphären die Himmel erzählen die
Ehre Gottes, und die Veste lies: der Tierkreis verkündet das
Werk seiner Hände. Ein Tag strömt dem anderen die Botschaft
zu, und eine Nacht gibt der anderen Kunde. In alle Lande geht ihre
Meßschnur aus, und ihre Worte bis an das Ende des Erdkreises".
Und später, aber noch vor Bach, kann man vernehmen:"Man
wird sich...nicht mehr wundern, daß die Menschen diese so ausgezeichnete
Anordnung der Töne oder der Tonleiter aufstellen, wenn man sieht,
daß sie dabei eigentlich keine andere Rolle als die von Nachahmern
des göttlichen Schöpfers spielen, und gleichsam ein Drama
von der Anordnung der Himmelsbewegungen aufführen". Und:
"Es ist nicht mehr verwunderlich, daß der Mensch, der Nachahme
seines Schöpfers, endlich die Kunst des mehrstimmigen Gesanges,
die den Alten unbekannt war, entdeckt hat. Er wollte die fortlaufende
Dauer der Weltzeit in einem kurzen Teil einer Stunde mit einer kunstvollen
Symphonie mehrerer Stimmen spielen und das Wohlgefallen des göttlichen
Werkmeisters an seinen Werken so weit wie möglich nachkosten
in der so lieblichen Wonnegefühl, das ihm diese Musik in der
Nachahmung Gottes bereitete." Das schrieb J.
Kepler in seiner Harmonices
mundi libri V (Harmonice Mundi.Unveränderter Nachdruck der
Ausgabe von 1939. Übersetzt und eingeleitet von Max Caspar, 6,
320, 328, 499).
Der Kosmos war eine Superuhr mit sieben Zeigern
dort, wo man die Mondknoten als unsichtbare Planeten einbezog, mit
neun Zeigern und, mit einem langsam sich drehenden Zifferblatt; kein
Schrumpführchen wie die unseren, auf denen der kleine Zeiger
Sonne spiel der große Mond. Ganz gewiß, die Konzeption
solcher gigantischen Zeitmaschine ist ein Werk der Hochkultur, aber
die Fixierung auf die Zeit als die maß-gebende Dimension,
die stammt schon ans dem Wildbeutertum, und zwar auf zy k 1 i s c
h e Zeit; kyklos ist der Kreis, und die Zeit eine gleichmäßig
kreisende.
b43
Mit nackten Worten wird das erst von Griechen
gesagt, aber das Vorherrschen zyklischer Zeitaufassung läßt
sich für älterePerioden erschließen, wenn Sie nur
ein wenig über die Geschichten nachdenken, die wir gehört
haben; nicht nur darüber, daß die Tierseelen "wiederkommen",
wenn das entsprechende Sternbild aufgeht. Die schiere Existenz des
Wurforakels oder gleichwelcher Divination verrät Ihnen die zugrundeliegende
Auffassung von der zyklischen Zeit, genau so wie das die Ihnen vertraute
Märchen tun. Jede sog. "Hilfsalte" tut das, die den
dritten Königsohn auf zukünftige Gefahren auf seinem Abenteuer
Wege hinweist und vorbereitet, oder die der Prinzessin oder einem
Aschenbrödel Nüsse mit darin enthaltenen großen Abendgarderoben
aushändigt, welche Kleider das Mädchen bei bestimmten bevorstehenden
Gelegenheiten brauchen wird; Prinz und Königstochter bewegen
sich auf Kreisbahnen, und eben darum kann man wissen, was ihnen bevorsteht.
Die Zeit als die maß-gebende Dimension,
das gilt nicht nur im übertragenen, sondern auch im wörtlichen
Sinne, wenn auch dies erst in griechischer Zeit deutlich ausgedrückt
worden ist. Bei Aristoteles (Phys. 223 B 29) finden Sie die gleichförmige
Kreisbewegung als das Maß aller Maße bezeichnet, und die
Angabe "die Zeit selbst scheint ein gewisser Kreis zu sein (ho
chronos autos einai dokei kyklós tis). In Phys. 218 A 33 vermerkt
Aristotels, "die einen sagen, Chronos d.i. die Zeit sei die Bewegung
des Ganzen, andere, er sei die Kugel selbst" (die Fixsternkugel).
Aetius (1.21.1.Doxograph
318) macht für die Gleichsetzung von Chronos mit der Fixsternsphäre
den Pythagoras verantwortlich: "Pythagoras to chronon tên
sphairan tou periechontos einai." Woher der Pythagoras seine
Lehren hat, darüber haben wir im Seminar gesprochen: aus dem
Alten Orient. (Bedeutung der Worte perihodos und sphaira).
Ehe wir auf die Bedeutung von Zeit und Maß
etwas gründlicher eingehen, seien ein paar Beispiele dafür
angeführt, was aus einem Kosmos wird, den Leute geprägt
haben, die ich der Kürze halber "timers" getauft habe,
wenn er in die Hände von "spacers" gerät, wie
unsere Schriftgelehrten sie repräsentieren.
Das erste Beispiel fiel mir schon früh
auf den Wecker; ich fand da in Sekundärliteratur wiederholt die
Angabe, die Totenseelen von Mangaia (d.i. die Hauptinsel der polynesische
Austral Islands) begäben sich mit der untergehenden Sonne nach
Westen, punktum, das Jenseits also befindet sich, wie die sog."Urheimat
der Polynesier" im Westen. Als ich den Originalbericht des Missionars
William Wyatt Gill aus dem Jahre 1876 zu Rate zog (156 ff, 185
ff , eigene Habil.Schrift.p118),
stellte sich heraus, daß nach dem Jenseits nur Sammeltransporte
stattfinden, und zwar nur anläßlich der Solstitien, weshalb
die meisten Totenseelen sich noch eine ganze Weile auf der Insel herumtreiben
müssen. "The great delight of these weeping, melancholy
spirits, was to follow the sun. At the summer solstice, January (sic!)
he apparently rises out of the ocean opposite to Ana-kura..., at the
wintersolstice, June, rising at Karanga iti ... These points became,
therefore, grand rendezvous of disembodied spirits: those belonging
to the northern half of the island assembled at ... Karan. ga iti;
those, by far the greater number, belonging to the southern half of
the island meeting at ... Ana kura."
b44
Gill bedauert den Verspäteten, der so
ungünstig stirbt, daß er gerade noch rechtzeitig kommt,
"to see the long annual train disappear with the glowing sun.
The unhappy ghost must wait till a new troop be formed for the following
winter." Warum die Solstitien wichtig sind, wird nicht verraten.
Ich vermute, weil an diesen Terminen in unserem Pisces Weltalter Gemini
und Sagittarius aufgehen, woselbst sich die Kreuzwege von Ekliptik
und Milchstraße finden, und die polynesischen Totenseelen halten
sich, wie die der meisten anderen Kulturprovinzen, zwischen den Inkarnationen
in der Galaxie auf. Was die viel beredete "Urheimat" der
Polynesier, Hawaikii/Hawaii, angeht, wohin sich die Totenseelen begeben
sollen, und die unsere Ethnologen in Indien suchen, so sagt ein Maori
Text klar und deutlich, sie sei markiert durch alpha Geminorum.
Das war ein relativ harmloses Exempel, die
weiteren sind gravierender. Wenn man in einer Relation Bewegung und
Veränderung jeweils dem "falschen" Partner zuschiebt,
muß man die abenteuerlichsten Kurven austüfteln, um die
Phänomene zu retten, wie das z.B. die Geozentriker tun mußten.
Solch antikopernikanisches Prinzip regiert aber nach wie vor die Gedanken
der Kulturhistoriker. Die verfechten da z.B. die Erfindung "neuer
Götter", beschäftigen sich mit der "Ausbreitung
des Osiris Kultes", den irgendwelche ägyptischen Priester
sollen erfunden haben, obwohl uns doch so unmißverständlich
in ungezählten Bildern und Texten vorgeführt wird, daß
der Osiris eine Mumie, daß er gestorben und zum Herrscher des
Totenreiches geworden ist. Da ist kein neuer Gott samt neuem Kult
kunstreich ersonnen worden, sondern unter seinem neuen Namen Osiris
ist ein Stern X zum Herren des Totenreiches aufgerückt. Wie der
Osiris hieß, solange er "lebte", wissen wir vorläufig
genau so wenig wie, was der Begriff "leben" für einen
Planeten oder Fixstern exakt bedeutet hat.
Oder aber, der Assyriologe Eric
Burrows, S.J. sagt bezüglich
mesopotamischer Tempel: "Man könnte beinahe ein Gesetz formulieren,
daß im Alten Orient zeitgenössische kosmologische Doktrin
in der Struktur der Tempel registriert worden ist." "Zeitgenössische
kosmologische Doktrin". wer oder was bewegt sich denn da wirklich?
Die Doktrinen oder die Götter nebst ihren Behausungen? Wir wissen
ja schließlich, daß jeder Tempel sein Horoskop hatte;
was sich unaufhörlich ändert und bewegt, sind nicht die
kosmologischen Doktrinen, sondern die Himmel, und, diesem Umstand
haben die Tempel Architekten Rechnung getragen. Oder aber, Grupe (1097)
beschreibt den griechischen Götterstaat und konstatiert: "Das
Göttervolk besteht... aus denjenigen Göttern, die durch
ihre Namen offenbar an ein bestimmtes Naturobjekt, an eine bestimmte
Zeit oder an eine bestimmte Funktion gebunden waren... Zu Titanen
eigneten sich besonders solche Wesen, die...im Kultus hoch gefeiert
wurden, jedoch nicht in der Zeit und. in den Landen der Dichter".
Auf die, nicht allzu weit hergeholte Idee, daß dieses "nicht
in der Zeit und nicht in den Lande" Sein ein Zustand oder ein
Merkmal der Titanen sein könnte, auf die Idee ist seit rund 200
Jahren keiner verfallen was sich ändert, müssen allemal
die sog."Dichter" sein.
b45
Die Beispiele ließen sich beliebig vermehren;
der arme Homer etwa soll den Dionysos noch nicht gekannt haben er
war, wie Osiris, eine neue Erfindung , weil der in Ilias und Odyssee
unter diesem Namen nicht auftritt, und generell ist von "Lokalgöttern'
und "Lokalkulten" die Rede, und niemals davon, daß
loci, Orte, terrestrische Spiegelbilder himmlischer topoi sind, und
die hienieden mit Kulten geehrten "Götter" Planeten,
die zu einem bestimmten, unverwechselbaren Zeitpunkt die himmlischen
topoi besuchen und damit den Auftakt zu terrestrischen Feierstunden
geben. Kurzum, was "spacers" mit den Konzeptionen von "timers"
machen, ist geradezu ungeheuerlich, und damit Sie nicht von einer
Anfechtung in die andere verfallen, gewöhnen Sie sich tunlichst,
zugleich mit den "Dichtern" und dem "glauben"
die Wörter "Weltbild" und "Lokalgottheit"
gründlich ab. Wir wollten uns aber auf die Zeit und das Maß
etwas näher einlassen, speziell auf die Rolle, die das Maß
gespielt hat, noch genauer: die Maßnorm, weil wir damit auf
den Kernpunkt der Hochkultur stoßen, die Entdeckung, daß
die Welt numero, mensura, pondere, nach Maß Zahl, Maß
und Gewicht konstruiert sei, wie es in der Weisheit Salomos (11.20)
formuliert ist. Um es deutlicher zu sagen: die Grundlage der Hochkultur
haben die mathematici gestiftet mit ihrer Entdeckung des Zahlenskeletts
hinter den begegnenden Phänomenen, weswegen ich gerne die Entstehung
der Hochkultur, an Stelle von "urban revolution" als "Ausbruch
der Mathematik" bezeichne. Und richtig, gleich zu Beginn der
Hochkultur stoßen wir auf normierte Maße, manche Scholaren
datieren sogar die Maßnorm noch höher hinauf als die Schrift,
was mir indessen nicht unbedingt einleuchtet.
Der Musik-Ethnologe Erich
von Hornbostel hat sich in
seinem Artikel '"Die Maßnorm als kulturhistorisches Forschungsmittel"
(Festschr.P.W.Schmidt,1928, 329 ff.) folgendermaßen geäußert:
"Die grundlegende Tatsache ist nicht die 'Erfindung' eines Maßsystems
oder die Einführung von Meßgeräten, sondern die Normierung;
ihre historische Einmaligkeit folgt aus ihrem Wesen. Den praktischen
Bedürfnissen des Baumeisters, Handwerkers, Feldmessers und, Kaufmanns
genügen einfache Hilfsmittel ein Stab, eine Schnur, die natürlichen
Körpermaße , um Größen einander gleich zu machen
oder gleichmäßig zu unterteilen; das einfachste Teilungsverfahren
wäre die fortgesetzte Halbierung: die absolute Größe
des Meßgerätes würde sich jeweils nach der Verwendung
richten. Normierung wäre sinnlos, überflüssig, oft
sogar unzweckmäßig: wozu sollte ein Ziegel 33 cm lang sein
und nicht 35, eine Flöte genau so lang sein wie ein Backstein?
Nicht für den profanen Nutzen beim Tagewerk ist die Norm geschaffen.
Die Götter der Weltwissenschaft haben sie gesetzt: in Babylon
Nabu, der... 'Herr des Meßrohrs', in Ägypten Thot, dem
die heilige Elle geweiht ist. Die Ordnung der Welt wird mit der Welt
zugleich erschaffen."
Sowohl Nabu als auch Thot sind der Planet Merkur,
und die Formulierung "Die Ordnung der Welt wird mit der Welt
zugleich erschaffen" ist unzureichend und irreführend: jede
sog. "Weltschöpfung" ist eine Weltvermessung, wie Sie
noch sehen werden: schöpfen bedeutet vermessen.
b46
Wir sind heutzutage nicht gerade dazu prädestiniert,
die Etablierung der Maßnorm zu würdigen, weil wir uns selten
oder nie klar machen, wie unsere eigenen Längen Hohl-und Gewichtsmaße
eigentlich zusammenhängen, geschweige denn, daß wir uns
fragten, von wannen die alten Maße denn wohl könnten abgeleitet
sein, d.h. welche Art von absolutem Maß-stab die Natur uns zur
Verfügung stellt. Evolutionsgläubige genieren sich nicht,
uns die "durchschnitiliche Länge" eines Weizenkorns
als grundlegendes Längenmaß anzubieten. Nun, Mutter Natur
liefert uns Zeitmaße und die aus der Teilung einer gespannten
Seite sich ergebenden Intervalle: die normierten Maße sind vom
Zeitmaß abgeleitet, genauer gesagt, die goldene Meßschnur,
Homers seirê chryseiê, ist die Sonne, sprich das Jahr
(Theaitetos,
153 C). Und auch im Rigveda
heißt es 5.85.5 (HYMN
LXXXV, an Varuna): "Dieses große Kunststück des
asurischen Varuna will ich ... verkünden, der... die, Erde mit
der Sonne als Maßstab ausgemessen hat."
Da es für die Entdecker des mathematischen
Kosmos undenkbar war, daß da zwei Maßstäbe existieren
sollten, ohne miteinander zu tun zu haben, sehen wir allenthalben
in dem Bestreben, harmonische und Zeitmaße zu koordinieren.
Einen der letzten derartigen Versuche hat Kepler in der Harmonice
Mundi gemacht, aber die Konzeption von der musikalischen Harmonie
der Planetensphären, von Apollons siebensaitiger Leier u.dgl.
mehr, die ist allerspätestens pythagoräisch.
Da ich eine Vorliebe für besonders absurde
survivals habe, sei hier der Anfang einer Tungusen Mär zitiert
(*FFC 125, p90): "Als Gott. auf die Erde kam, begegnete er Buninka,
dem Teufel, der ebenfalls am Schöpfungswerk interessiert war.
So gerieten sie in Streit miteinander. Der Teufel wollte die gotterschaffene
Erde vernichten und zerbrach das zwölfsaitige Musikinstrument
Gottes. Gott geriet darüber in Zorn." Der Rest ist irrelevant;
was zählt, ist allein die Vorstellung, daß man eine Erde
ruinieren könne, indem man ein zwölfseitiges Musikinstrument
zerteppert, wobei ich an den schon erwähnten Vorfall erinnere,
wie nämlich Apollon in einem Anfall von Reue seine Leier zerbrach,
nachdem er den Flötenspieler Marsyas getötet und geschunden
hatte. S e l b s t redend gehört diese Story nicht zum Ur-Eigentum
der Tungusen, "beyond the Baikal", wie der sie mitteilende
Uno Harva/Holmberg (*MAR 4,329) selbst hervorhebt: " ... Gott
und der Teufel als Rivalen, das Saiteninstrument, etc .... are features
which can by no means be reconciled with the original circumstances
and beliefs of the Tungus." Dies aber nur nebenbei.
Am optimistischsten haben sich Chinesen über das Zusammenwirken
von Kalender und Stimmpfeifen geäußert. Im Ta tai Li Chi
aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert heißt es (Needham
2, 270,268) :" The pitchpipes are in the domain of Yin but they
govern Yang proceedings. The calendar comes from the domain of Yang,
but it governsYin proceedings. The pitchpipes and the calendar give
each other a mutual order, so closely that one could not insert a
hair between them." //s.Ssu
ma ts'ien.2,293//
*(FFC = Folklore Fellows Communication, Helsinki
u.a. 1907, sqq.)
*(MAR = The Mythology of all races .. (Volume
1 - 12), Gray, Louis H. (Louis Herbert), 1875-1955, Boston, Marshall
Jones Company)
b47
Über die fundamentale Rolle des Maßes,
insonderheit in alten sog. ,Religionen' wüßte man männiglich
Bescheid, wenn uns nicht die Schriftgelehrten in schöner Einmütigkeit
allemal "Wahrheit" übersetzten, wenn sie auf das Maß
stoßen, d.h. auf sumerisch me , Akkadisch parsu
, auf Ägyptisch maat. In Indien nennen sie's rta,
in Persien asha. Über die nuancierten chinesischen termini
orientiert sich jeder Interessierte tunlichst selbst, und zwar in
Joseph Needhamts Werk "Science and Civilization in China"
im 2.Band (erschienen 1956, p553 f ) , wo er den Begriff Naturgesetz,
und im 4.Band Teil 1 (erschienen 1962, p199), wo er die Akustik abhandelt.
Darüber hinaus rate ich zur Anschaffung von Marcel
Granet's opus "La Pensee Chinoise", bzw. der guten deutschen
Übersetzung von Manfred Porkert "Das Chinesische Denken"
(Piper Paperback), zwecks Vertiefung in das umfängliche Kapitel
"Die Zahl"; das ist ein gutes Vorbeugungs Serum gegen den
Virus der Simplifikation. Da wir mit einem Kosmos zu tun haben, der
den Menschen miteinbezieht, so bedeuten me, maat, rta, asha
etc. beinahe selbstverständlich auch das Sittengesetz und stellenweise,
wennn's denn unbedingt sein muß, auch "die Wahrheit",
der unklarsten Begriffe einer, aber erst einmal ist maat das
normierte Meßrohr und die Flöte (Hornbostel 321), und die
sogenannte "Göttin" Maat pflegt in der Form einer Feder
oben in der Mitte über der Waage oder in einer der Waagschalen
zu sitzen, woraus erhellt, daß man es mit dem Wiegen und Messen
genau genommen hat, mindestens theoretisch.
Ausführliches Eingehen auf die Maßnorm
und ihre Ausbreitung verbietet sich hier. Was aber unbedingt festgehalten
werden muß, ist die Priorität der Zeitmaße. und da
möchte ich ihnen einen Passus von Carl Lehmann-Haupt zu Gehör
bringen, aus seinem Artikel "Gewichte" in der RE,
Suppl. 3, p591ff.
Was Aristoteles und Aetios über die Priorität
der Kreisbewegung gesagt haben, das wurde schon zitiert (ho chronos
einai dokei kyklos tis, und die Kreisbewegung sei das Maß aller
Maße). Deutlicher noch kommt das Wesentliche zum Ausdruck in
Platons pythagoräischem Dialog Timaios
(47 A) in dem Kapitel, wo Timaios über Sinn und Aufgabe von Sehen
und Hören spricht: "Die Betrachtung von Tag und. Nacht,
von Monaten und den Umläufen des Jahres, von Äquinoktien
und Solstitien hat die Z a h 1 gezeitigt und zu dem Begriff der Zeit
geführt und zur Untersuchung der Natur des Ganzen, und dadurch
sind wir zu der Philosophie vorgedrungen, welche das größte
Gut ist, was dem sterblichen Geschlecht als eine Gabe der Götter
zuteil ward und jemals zuteil werden wird." Wobei Sie tunlichst
an Naturphilosophie denken, und nicht etwa Existentialismus oder dialektischen
Materialismus assoziieren. 39 B hatte Timaios
schon den Maß-Stab bei Namen genannt: "Damit aber ein deutliches
Maß für das gegenseitige Verhältnis von Langsamkeit
und Geschwindigkeit vorhanden wäre, mit welcher die acht Umläufe
sich bewegten, so zündete Gott in den zweiten derselben von der
Erde ab(en te pros gen deutera ton periodon)ein Licht an, eben das,
was wir jetzt Sonne nennen, auf daß es möglichst durch
das ganze Weltall schiene und die belebten Wesen, so vielen immer
dies zukam, des Z a h 1 e n maßes teilhaftig würden,
dessen sie durch die Umkreisung des Selbigen und Gleichartigen innegeworden."
b48
Die Betrachtung himmlischer periodoi also hat
die Zahl gezeitigt, und so sagt denn auch der gefesselte Prometheus
beim Aischylos (457), nachdem er sich gerühmt hatte, Auf- und
Untergänge der Sternbilder und die Einteilung in Jahreszeiten
die Menschen gelehrt zu haben, "kai mên arithmón,
exochon sophismátôn, und die Zahl, das hervorragende
Erkenntnismittel, erfand ich für die Menschen."
Der Pythagoras hat, so sagt es jedenfalls der
Proklos, die Zahl direkt für identisch (tauton) mit der Erkenntnis
und ihrem Gegenstand erklärt (nóêsis und noêtos),
und für die sophia, eben die Erkenntnis, selbst. Für ihn
war die Zahl schlechthin die intelligible Ordnung des Alls, der noêtos
diakosmos. Aber über die Zahl verfügt nur der Nous, der
erkennende Verstand, d.h. die Zahlen sind die noerà eidê,
die dem Nous eignenden Erkenntnisformen. Die Psychê aber, die
Seele, ahmt den Nous nach, indem sie Namen gibt. Von den Namen sagt
der Pythagoras, sie seien Bilder der reinen Erkenntnisformen, eben
der Zahlen. Namen also seien nichts Ursprüngliches, sondern Abbildhaftes,'
aber nicht Abbild der Dinge selbst, sondern Abbilder der noerà
eidê, der Verstandes "Bilder", der Zahlen. Alles also,
was wir, von unserer psychê veranlaßt, mit Namen bedenken,
und was wir in Worten und Sätzen umschreiben, stellt Abbilder
der Zahlen dar, wir treffen mit Namen und Worten niemals die Dinge
selbst.
Dem Aristoteles war diese Denkweise nicht geheuer,
welche Substanzen und Kräften keinerlei Beachtung gönnte,
sondern einzig die Zahlen, d.h. Zahl und Verhältnisbegriffe gelten
ließ, arithmêtikoi kai harmonikoi logoi. Er hat aber in
der Metaphysik 1.5 eine recht gute Beschreibung des ihm so wenig zusagenden
Pythagoräismus gegeben. (s. Aristoteles,
Met. 985 B-986 B).
Die Betrachtung himmlischer Vorgänge,
so hatte Platon gesagt, habe die Zahl gezeitigt und zu dem Begriff
der Zeit geführt und damit zur Philosophie. Und die Zeit definierte
er als das nach der Zahl sich stetig fortbewegende Abbild der Ewigkeit.
Diejenigen aber die sich kat'arithmon, der Zahl gemäß,
bewegen, und mittels dieser Bewegung die Zeit hervorbringen, sind
Sonne, Mond und die fünf Planeten, die daher vom Timaios als
die organa chronou, die Instrumente der Zeit bezeichnet werden. Daß
sich aus der Priorität gezählter zyklischer Zeit, sie wird
ja durch Kreisbewegungen hervorgebracht, uns ungewohnte Konsequenzen
ergeben, versteht sich. Nehmen wir zum Beispiel die Auffassung von
"Substanzen", von Elementen, die sich von der unseren unterscheidet,
bzw. unterschied, denn die moderne Physik kommt den alten Vorstellungen
näher als die klassische, weswegen Needham von den chinesischen
Taoisten feststellt (2, p543) ob zu Recht oder zu Unrecht, sei dahingestellt
:"With their appreciation of relativism and the subtlety and
immensity of the universe, they were groping after an Einsteinian
world picture, without having laid the foundations for a Newtonian
one."
b49
Das chinesische Wort hsing, gewöhnlich
mit "Element" übersetzt, wird in der ältesten,
auf Orakelknochen erhaltenen Schriftform mit dem Diagramm. eines Kreuzweges
wiedergegeben (ibid., 223, no.14) und meint "gehen, sich bewegen".
Needham (2, p243 f.) betont nachdrücklich, daß "the
conception of the elements was not so much one of a series of five
sorts of fundamental matter ... as of five fundanental p r o c e s
s e s. Chinese thought had characteristically avoided substance and
clung to relation." Richard Wilhelm gab das Wort mit "Wandlungsphasen"
wieder, und über Wort und Bedeutung finden Sie Aufsschluß
in dem Ihnen schon zum Ankauf empfohlenen opus von Granet "Das
chinesische Denken",auf den Seiten 230 fff.(Pensée 304).
Und die Regel, dergemäß diese Wandlungsphasen oder Prozesse
ablaufen, ist das T a o , was wiederum "Weg" bedeutet. Im
Griechischen standen die Dinge einmal ganz ähnlich. Was wir immer
mit ,Element' übersetzen, stoicheion, abgeleitet von dem
Verbum stoichéô, gehen, marschieren, ist die abgemessene,
abgegangene Strecke, auch die gemessene Schattenlänge. Stoicheia
heißen die Tierkreiszeichen; ein stoicheiomatikos ist einer,
der Horoskope stellt, und die geschriebenen Buchstaben des Alphabets
(die gesprochenen sind die grammata). Aber auch tao, der Weg,
die Regel, nach der die Bewegungen und Wandlungen erfolgen, fehlte
in Griechen land nicht: "dikê", sagt Cornford (From
Religion to Philosophy, p172 f.), "dikê means ,way'"
und fügt hinzu: "the notion of dike seems to come very near
to the Chinese Tao". Gewöhnlich wird dikê mit Recht
und Gerechtigkeit übersetzt; des Umstandes, daß dikê,
last not least, auch den "Wurf" bedeutet, der Würfel
nämlich, werden sich Stammkunden aus der Vorlesung über
das Spiel entsinnen. In Indien waren die Dinge nicht viel anders:
die Gestirne wandeln rtasya patah, die Wege des rta, und rta, das
Maß schlecht hin, ist auch direkt "das Jahr" (Cornford,
p175). Wenn Sie von dieser Art von Substanzen ausgehen, wird es Sie
nicht länger wunder nehmen, daß die "Elemente"
in der Alchemie den Planeten zugeordnet worden sind.
Die generelle Einsicht, daß "Namen"
Abbilder von Zahlen und Zahlenverhältnissen sind, daß ho
theos aei geômetrei, daß der Gott fortlaufend mißt
und zählt, und daß man die Erkenntnis der Zahl der Beobachtung
himmlischer periodoi verdankt, ist zwar unerläßlich aber
Details werden uns damit noch lange nicht durchsichtig. Natulrlich
hängt es mit diesem Prinzip zusammen, daß die Babylonier
ihre Götter häufig mit Zahlen geschrieben haben: Anu, den
sogenannten Himmelsgott, schrieb man mit einem Keil, und das bedeutet
im Sexagesimalsystem 1 oder 60 oder 60 * 60 oder 1/60 usw.,
Enlil/Marduk mit 50, Ea/Enki mit 40 oder 2/3, Istar mit 15, Nabu/Nusku
mit 10, aber w a r u m man Jupiter mit der 50 identifizierte, Venus
mit 15, Merkur mit 10, Saturn mit 40, das bleibt vorerst unerfindlich;
der mit der ,Monas' geschriebene Anu, der sog. Himmelsgott der Schriftgelehrten,
ist in Keilschrifttexten der Seleukidenzeit durchweg der Mars. Ebenso
unerfindlich bleibt eine eher geometrische Garnitur von Bezeichnungen,
warum z.B. der sog. Urvater Apsu, der Süßwasserozean und
Gatte der Tiamat im sogenannten Babylonischen Weltschöpfungslied,
ein Würfel war, wie der Urmensch der Iranier, Gajomard, und wie
der Poseidon, der die Pythagoräer prôton kybon, den ersten
Kubus, hießen, und warum man ein Dreieck mit sechs eingeschrieben
Dreiecken die dreimal geborene Athene, Athene Trito geneia, nannte.
b50
Größere Schwierigkeiten noch bereitet
die Auffassung von der sogenannten "Göttlichkeit" von
Zeit und von Zeitabschnitten, aber auch hier kann man sich mit Hilfe
von Platon und Proklos etwas näher an die Phänomene heranpirschen,
und zudem mache ich Sie gleich im Vorhinein darauf aufmerksam, daß
"göttlich sein" gleichbedeutend ist mit "sich
auf Kreisbahnen bewegen". Kreisbewegung ist schlechthin der Ausweis
von Göttlichkeit. Wenn Sie wissen wollen, wie fest und wie tief
diese Überzeugung gesessen hat - es war halt weniger eine Überzeugung
als eine Definition - brauchen Sie sich nur in die Geschichte der
Planetentheorien zu vertiefen, in alle Versuche, "die Phänomene
zu retten", d.h. die evidentermaßen keine Kreise beschreibenden
Planeten doch auf Kreisen umlaufen zu lassen, nämlich auf Exzentern
und Epizyklen, und sich zu vergegenwärtigen, wie schwer es Kepler
gefallen ist, das zu vollziehen, was man "the breaking of the
circle" heißt, und sich auf "ungöttliche"
Ellipsen einzustellen. Wir kommen notwendiger Weise auf die Rettung
der Phänomene zurück, die man im Alten Orient nicht brauchte,
eben darum, weil nur die Zeit zählte.
"Die Zeit", griechisch Chronos, die
bei Aristoteles "ein gewisser Kreis zu sein scheint" und
von den Pythagoräern mit der Fixsternkugel identifiziert wurde,
ist Lenker der Welt bei den Indern unter dem Namen Kala / Zeit, bei
den Iraniern unter dem Namen Zurvan. Bloomfield's Übersetzung
der Zeit-Hymnen aus dem Atharva-Veda
(19.53 und 54) sei ihnen übermacht. Verständlich sind
sie nicht. Wer auch immer sie übersetzt hat, was kein Wunder
ist, denn weder den Rigveda noch den Atharva-Veda hat bis heute auch
nur ein einziger Indologe wirklich ernst genommen. Im Mahabharata
sind zwei schier endlose Gespräche aufgezeichnet zwischen dem
regierenden Götterkönig Indra aller Wahrscheinlichkeit nach
Jupiter und einem früheren Weltenherrscher Vali / Bali (12.223
227. vol.9, 138 1 6), woselbst der gestürzte Herrscher, nunmehr
in Gestalt, eines Esels, den derzeit Regierenden davor warnt, sich
für verdienstvoll und, generell, für einen "Macher"
zu halten (P.151.): "Thou hast ... obtained the sovereignty of
the universe in course of Time but not in consequence of any special
merit in thee...That thou ... regardest thyself as the actor lies
at the root of all sorrow...Myself, thyself, and all those who will
in future become the chiefs of the deities, shall have...to go the
way along which hundreds of Indras have gone before thee ... In Time's
course many thousands of Indras and of deities have been swept off
yuga after yuga (p.143) "Time is the creator and destroyer. Nothing
else is cause." (Cf. Brahma-Purana vol 3, p126, Robert
Eisler p497-503). Es heißt dort auch von dem Kala (143):"The
fortnights and months are his body. That body is invested with days
and nights as its robes. The seasons are his senses. The year is his
mouth."
b51
Zeit ist schlechterdings die Welt, Zeiten s
i n d Welten. Weder beim hebräischen olam noch beim griechischen
aiôn kann man jeweils genau sagen, ob Welt oder Zeit gemeint
sei; daß eine solche Unterscheidung herzustellen überhaupt
versucht wird, beweist nur, wie wenig wir von der alten Konzeption
von "Welt" verstehen. Um sich diese Welt, so fremd sie sein
mag, ständig präsent zu halten, rate ich, wohl zum hundersten
Mal, zum Auswendig Lernen eines Satzes von Anaximander,
den Cicero uns überliefert hat. In de
natura deorum, 1.25 sagt er: Anaximandri autem opinio est, nativos
esse deos longis intervallis orientis occidentisque, eosque innumerabiles
esse mundos. Götter werden geboren in langen Intervallen des
Aufgehens und Untergehens, und sie seien unzählbare Welten. Die
ungezählten Welten sind Zeitperioden und werden Götter genannt,
die geboren werden und sterben (thounds of Indras and deities have
been swept off yuga after yuga) (In Klammern wieder eine typische
Stellungnahme von spacers: John Burnet kommentiert den Anaximander
Satz in seiner Early Greek Philosophy (p.60): "Now it is much
more natural to understand the ,long intervals' in space than as intervals
in time".)
Wie Sie schon an dem indischen Befund bemerkt
haben, handelt es sich nicht um einen Spezial Spleen von Anaximander,
aber alle diesbezüglichen Bekundungen stoßen auf das befremdete
Unverständnis der Schriftgelehrten. Was man niemanden zum Spezial-Vorwurf
machen sollte: das Sich Hinein Denken in die zyklische Zeit Welt ist
objektiv sehr schwierig. Schlagen Sie in E. T. C. Werner's
"Dictionary of Chinese Mythology" das Stichwort San Kuan
oder San Yüan auf (401), so erfahren Sie da u.a.:" The ,Three
Rulers', now a peculiar Taoist triad of subordinate divinities, presiding
over heaven, earth, and water ...were original vast periods of time,
like a geological epoch, but were subsequently personified and deified.
Die drei Herrscher, jetzt eine merkwürdige taoistische Triade
untergeordneter Gottheiten, die Himmel, Erde und Wasser regieren,
waren ursprünglich riesige Zeitperioden, wie eine geologische
Epoche, wurden aber später vergöttlicht."Der
Engländer Percy Smith (Whare
wananga 102,100 n.55), der im letzten Jahrhundert die noch erreichbare
astronomische Überlieferung der Maori auf Neuseeland aufgenommen,
übersetzt, und kommentiert hat, so gut es eben ging, es ging
eben nicht gut , der konstatierte über das, viel Verwirrung stiftende,
polynesische Wort p o: "Die gewöhnliche Bedeutung von Po
ist Nacht, oder eine Zeitperiode, oder die Äonen der Dunkelheit,
die der Geburt der Götter voraufgingen. These aeons seem to be
personified, endowed with semipersonal and material characteristics;
diese Äonen scheinen personifiziert zu sein, ausgestattet mit
halb persönlichen und materiellen Charakteristika.
Eigentlich müßte ein einziger Blick
auf die Hieroglyphen genügen, mit denen die Maya ihre Zeiteinheiten
geschrieben haben, um wahrzunehmen, daß Zeitperioden als Götter,
Dämonen, oder wie immer Sie's nennen mögen, verstanden worden
sind. Thompson spricht von "deified numbers bearing the periods
as lords, vergöttlichte Zahlen, die die Perioden als Lasten tragen."
Unsere Sprache ist diesem Befund einfach nicht gewachsen, und darum
müssen sich die modernen Schriftgelehrten so unbeholfen ausdrücken.
So hören wir beim alten Wiedemann
(OLZ 6,1903, 2f.): "Es gab bekanntlich in Ägypten Sondergötter
nicht nur für die Zeitbegriffe selbst, also für Jahr, Monat,
Tag, sondern auch für jeden einzelnen Zeitabschnitt, jede Jahreszeit,
jeden Monat, jeden Monatstag, jede Tag und Nachtstunde." "Sondergötter",
jetzt wissen Sie's genau. (Brugsch: Thesaurus Inscriptionum Ägyptiacarum.
Altägyptische Inschriften, p115-20, p472 ff., p819-46).
b52
Etwas besser klingt die Formulierung von Richard
Lepsius: "..jeder Monat, jeder Tag und auch jede Stunde erscheint
... auf den Monumenten entweder selbst als Gottheit personifiziert,
oder einer Gottheit zugeteilt" (s. Über einige Berührungspunkte
der Ägyptischen, Griechischen und Römischen Chronologie.
1859). Noch besser formuliert Reitzenstein
(Poimandres p81 Anmerkung.1, s.a. Appendix p256-291): "Der Kalender
enthält die Theologie: Tag und Woche, Monat und Jahr sind göttliche
Wesen von bestimmter Kraft und bestehen aus anderen göttlichen
Wesen." Reitzenstein kommt auf diese göttlichen Zeitabschnitte
zu sprechen, um Galater 4.3 + 8ff. zu erklären, und dieser Fall
ist für uns nicht uninteressant. Paulus wettert nämlich
in diesem vierten Brief an die Galater u.a. gegen die "stoicheia
tou kosmou" und das Einhalten der Feste, Vers 10 heißt
es: Ihr haltet Tage und Monate und Feste und Jahre. Damit hatte Paulus
nichts im Sinn Platon umso mehr, wovon später , und mit dieser
Ablehnung liegt der Paulus auf der gleichen Linie wie der Talmud bei
der Auslegung des 2.Gebotes (2. Mos.20.4). Selbiges lautet: Du sollst
dir kein (Gottes )Bild verfertigen, noch irgend ein Abbild, weder
des, das im Himmel droben oder auf der Erde drunten oder im Wasser
unter der Erde ist. Das Targum
dazu führt aus: "Macht euch nicht zum Zwecke der Anbetung
Bilder von Sonne und Mond, Sternbildern und Planeten oder von Engeln,
die vor mir dienen", und der Talmud
Traktat Ros hasanah 24 B:"Macht euch keine Götter nach
dem Bilde der Geister, die vor mir dienen in der Höhe: Ophanim
(Zeitperioden), Seraphim (Jes.6), Chajjoth (Ez.1) und malkê
haserat (Dienstengel)" (Jeremias
*ATAO , p555, s.a.p116,p 271 + 1.Mos.21. 33) Wer die drei letzten
Gruppen seien, entzieht sich meiner Kenntnis, aber hier genügt
uns die Angabe, daß man sich keine Bilder von den Zeitperioden
/ Ophanim machen soll, wie das die Ägypter taten und wie die
Maya, die sich ja noch rechtzeitig aus dem Staube hatten machen können,
ehe in Westasien Offenbarungsreligionen ausbrachen.
*(ATAO = Das Alte Testament im Lichte des Alten Orients, Leipzig,
1916)
Ich übergebe Ihnen nun ein paar Seiten(1,
2, 3,
4, 5,
6) aus dem Kommentar
des Proklos zu Platons Timaios in der französischen Übersetzung
von André-Jean
Festugière, die auch nicht sehr viel leichter zu durchschauen
ist als der griechische Text des Proklos; es ist nicht von ungefähr,
daß der bis auf Festugière unübersetzt geblieben
ist. Von spezieller Wichtigkeit für uns ist der Passus 4.40.31
41,12, Fest.4, p.61, wo Proklos etwa Folgendes feststellt: "Es
ist nicht nur die Zeit, die die Theurgen die Chaldäischen Orakel,Chaldaikà
Lógia als Gott gefeiert haben (ou ton chronon monon), sondern
auch der Tag, die Nacht, der Monat, das Jahr. Und das schicklicher
Weise (kai eikótôs). Denn wenn es für alles, was
kontinuierlich seinen Kreislauf wiederholt (tôn gar aidíôs
anakyklouménôn) eine unbewegte Ursache geben muß,
so muß auch für die verschiedenen Abschnitte gelten, daß
diese Ursache mal die eine, mal die andere sei. Wie dem auch sei,
die Theurgen haben uns an die Adresse dieser Götter gerichtete
Gebete, Anrufungen und Einweihungsriten überliefert.
//thesmous telestikous; thesmós von
tithêmi,Satzung,Sitte; telestikós vollendend die Einweihung
betreffend, sophia Weisheit der Mysterien//.
Alle diese Einteilungen über den Daumen
zu zählen //skopein bedeutet aber betrachten// genügt nicht;
man muß als göttlich verehren die unsichtbaren und unbewegten
(Ursachen) der bewegten und allen sichtbaren (Gestirne), zu deren
Gunsten Platon in den Gesetzen(1,
2, 3)
Zeugnis ablegt, daß es sich um Götter handle.
b53
Wir wissen auch aus der griechischen Überlieferung
von heiligen Handlungen, die dem Monat gelten (mênós
hiera), und bei den Phrygern sehen wir den Monat als Sabazios in den
mystischen Sabazios-Zeremonien gefeiert."
Proklos führt
dann noch Indizien für die Verehrung der Jahreszeiten, der Horen,
und des Jahres an (eniautos). Der sogenannte springende Punkt scheint
der zu sein: welche Zeitspanne auch immer, sie muß eine unbewegte
Ursache haben, und da Zeiten prinzipiell periodoi sind, handelt es
sich im Zweifelsfall um den Mittelpunkt der Kreise, den die jeweiligen
Zeit-Perioden beschreiben.
Sie können natürlich Zetermordio
schreien, man. dürfe ja doch auf keinen Fall so "späte"
Autoren wie den Neuplatoniker Proklos, der abgefeimter Weise von 410-485
n a c h Chr. gelebt hat, zur Erklärung altorientalischer Konzeptionen.
heranziehen, und schon gar nicht den zwar beträchtlich älteren
Platon, der von 427-347 vor Chr. lebte, weil es sich da um den größten
griechischen Philosophen handelt, der wie der Gott der Christenheit
partout alles ex nihilo erschaffen haben muß. Nun, Plato war
mit Sicherheit der größte Philosoph unseres Planeten, und
Whitehead hat nicht ganz zu Unrecht festgestellt, die ganze abendländische
Philosophie bestünde aus Fußnoten zu Platon, aber ein creator
ex nihilo ist er so wenig gewesen wie sonst irgend jemand, und seine
Konzeption zyklischer Zeit hat er nicht eigenköpfig erfunden,
die war längst vorher da. Kein Gefasel verbohrter Evolutionisten
sollte uns daran hindern, zwecks besseren Verständnisses der
prima vista absurd anmutenden "Götter" von Stunden,
Tagen, Jahren und von größeren Zyklen, Platon und Proklos
heranzuziehen, eben darum, weil deren Zeit-Verständnis noch jenes
"archaische" war, dem bei uns erst das Christentum mit seiner
Vorstellung von "Heilsgeschichte" den Garaus gemacht hat.
Daß es erudierten Autoren des arabischen und jüdischen
Mittelalters noch geläufïg war, daß gleichwelche Nicht-Offenbarungsreligion
"Astral-Religion" war, daß also allen "Heiden"
die im Grunde gleiche Religion eignete, das kann man deren Verlautbarungen
überer die Religion von Mesopotamiern, Ägyptern, Griechen,
Römern, Persern, Indern usw. entnehmen. (Daniel
A.Chwolson, Die Ssabier und der Ssabismus. (St. Petersburg 1856,
2 Bnd.). Einleitung + Bnd.1,162,
254 f.,260; Bnd.2,391-413,495
ff.,504 f.). Greifen wir heraus, was Maimonides hinsichtlich jüdischer
und islamischer religiöser Überlieferung, an dieser Stelle
besonders über den Abraham, sagt (D. Chwolson Bnd.2, p453,vg1.723),
daß es nämlich keine Tradition gebe, die der biblischen
Überzeugung widerspreche, "ausgenommen die Überreste
jener verächtlichen Religion, welche in den äußersten
Enden der Erde sich erhalten hat, wie die ungläubigen Türken
in dem äußersten Ende des Nordens und die Inder in dem
des Südens; denn diese sind noch die Überreste der Anhänger
der ssabischen Religion, welche ehemals den ganzen Erdkreis erfüllte"
(p452), welche behauptete, "daß es außer den Sternen
keinen Gott gäbe." Lange vorher hatte Philon
von Alexandria (De Abramo 15, § 69, s.Jeremias, s.Sternbilder
1433/Roscher) über die Chaldäer gewettert, die sich am meisten
mit Astronomie beschäftigt hätten und "den Kosmos für
die Gottheit selbst" hielten, "indem sie in unfrommer Weise
das Geschaffene dem Schöpfer gleichsetzten."
b54
Man hat dem Platon die Hoch- oder auch Überschätzung
von Kugel und Kreis in die Schuhe geschoben; zu Unrecht, jedenfalls
was die kreisende Zeit angeht. Aber wie konnte es zu dieser Behauptung
kommen? Der im sechsten nachchristlichen also noch nach Proklos -
lebende Simplikios
hat in seinem Kommentar zur Schrift des Aristoteles de caelo/über
den Himmel (S.488,vdw RE 24, 290;T.L. Heath: Aristarch 272) konstatiert:
"Als erster unter den Griechen hat Eudoxos
von Knidos (408 - 355) versucht, durch ähnliche Hypothesen
das Problem zu lösen, das P 1 a t o n denen gestellt hat, die
sich mit solchen Sachen beschäftigen: durch welche Annahmen von
gleichmäßigen und geordneten Bewegungen man die Erscheinungen
der Planetenbewegungen retten könnte". Bei dem rund 600
Jahre älteren Geminos
werden die Pythagoräer und nicht der Platon namhaft gemacht (Eisagoge
zwischen 73 u.67, Manitius 251, Ideler 74, 334, T.L. Heath 269). In
seiner Einführung in die Phainomena heißt es: (Geminos
1, p 19-20)
Worum es da eigentlich geht? Van
der Waerden hat in seinem RE Artikel über die Pythagoräer
(24,289 f.) den Unterschied zwischen babylonischer und griechischer
Astronomie kurz so definiert: "Die babylonische Astronomie hatte
1) langjährige Beobachtungen, 2) sehr genaue Perioden, 3) arithmetische
Methoden zur Berechnung von Himmelserscheinungen, insbesondere durch
steigende und fallende arithmetische Reihen. Die griechische Astronomie
dagegen ist vorwiegend g e o m e t r i s c h. Ihre Hauptfrage lautet
nicht 'Wie kann man Himmelserscheinungen berechnen?', sondern ,Durch
welche Annahmen von gleichmäßigen Kreisbewegungen kann
man die Erscheinungen erklären?'." Das alles entscheidende
Wort ist "geometrisch". Daß die Planetenbahnen, die
wir betrachten können, keine kreisförmigen sind, ist ein
Ihnen bekanntes Faktum; allenfalls beschreiben Sonne und Mond Kreisbahnen,
aber auch die nicht mit erwünschter Präzision, weswegen
Kepler sich dann zur Akzeptierung von Ellipsen genötigt sah.
Die Planeten stehen still, werden rückläufig, bilden also
Schleifen, und von gleichen Geschwindigkeiten sieht man auch nichts.
Warum lautete nun aber die babylonische Hauptfrage "Wie kann
man Himmelserscheinungen berechnen?", und warum, plagten sich
die Babylonier anscheinend nicht ab mit geometrischen Hilfskonstruktionen
wie Exzentern und Epizyklen? Nach allem, was wir bislang gehört
haben sozusagen von den Maya bis Proklos dürfte der zureichende
Grund darin zu suchen sein, daß man sich früher ernsthaft
nur um Z e i t e n gekümmert hat.
Für den Normalverbraucher sind Planeten
wandernde Punkte, für die griechischen Astronomen galt es, ihre
merkwürdigen Bewegungen geometrisch als Kreisbahnen zu erweisen,
für die Alten Orientalen aber waren die Planeten anscheinend
gleichbedeutend mit der Zeitperiode, die sie anzeigten; was zählte,
war also, welche Zeit ein Planet für seine periodos benötigte,
weniger die Form der von ihm eingeschlagenen Bahn, was nicht
heißt, diese wären unbeobachtet geblieben.
b55
Was auf einer Kreisbahn liegt, sind die Punkte,
zu denen ein Planet "heimkehrt", die Punkte, an denen sich
in unterschiedlich langen Intervallen Konjunktionen wiederholen usf.
Von daher versteht sich auch eher der Vergleich zwischen Himmelsbewegungen
und dem Tanz, über den sich am deutlichsten der Lukian
ausgesprochen hat; den Polarstern nannten die Griechen auch Tanzleiter/
Choreutês , der Tanz besteht, bzw. bestand ja nicht in sturem
Kreistrott, sondern im Beschreiben kunstvoller Figuren entlang dieser
Kreisbahn, und nicht von ungefähr ist der Tänzer par excellence
der Mars mit seinen auffälligen Schleifen, ob er "Jung Krieg"
heißt, Neoptolemos, der Troia durch seinen Tanz eingenommen
haben soll, oder in Rom Mars Ultor, ob Skanda, der Hüpfende,
im alten Indien oder Ueuecoyot, der uralte Koyote, wie die Azteken
ihren sog. "Tanzgott" nannten. Den Passus aus Lukians
(120-180 n. Chr. aus Samosate am oberen Euphrat) Peri orchêseôs
/De Saltatione 7, p 241 schauen Sie sich tunlichst selber an. Der
Lukian belehrt da einen alten Freund und dezidierten Gegner aller
Tanzerei darüber, was Tanz wirklich sei, und konstatiert hinsichtlich
der zuverlässigsten Historiker, die sich damit beschäftigt
hätten, sie alle seien der gleichen Meinung, der Tanz sei gleichzeitig
mit dem Universum ins Leben getreten, zugleich erschienen mit jenem
archaischen Eros, nicht also mit dem eher harmlosen Sohn der Venus,
sondern mit Hesiods kosmogonischein Eros. "Tatsächlich",
fährt Lukian fort, "der Reigentanz der Sterne, das sich
Verflechten der Planeten in bezug auf die Fixsterne, ihr rhythmisches
Übereinstimmen und die takt-gemäße Harmonie sind Zeugnisse
für die Uranfänglichkeit des Tanzes (hê goun. choreía
tôn astérôn kai. hê pros tous aplaneis tôn
planêtôn symplokê kai eurythmos autôn koinônia
kai eutaktos harmonia tês prôtogónou orchêseôs
deigmatá estin).Wenn man eurythmos koinonia und eutaktos harmonia
wirklich adäquat übersetzen könnte, ließen sich
ganze Vorlesungen einsparen; die koinonia, die Gemeinschaft, das Zusammensein
in dem Geflecht von Planeten untereinander und mit den Fixsternen
ist eurythmos, sie erfolgt in einem guten Rhythmus, und die Harmonia
ist nicht ein fortdauernder Zustand, sondern etwas, was sich "in
gutem Takt" einstellt, eutaktos harmonia.
Wir hatten kürzlich von jener "peculiar
Taoist triad" in China, gehört, angeblich "Untergeordneten
Gottheiten", die über Himmel, Erde und Wasser herrschten,
ursprünglich aber riesige Zeitperioden waren, und im zweiten
Gebot (2. Mos. 20.40) werden wir aufgefordert, uns kein Gottesbild
zu machen "weder des, das im Himmel droben oder auf der Erde
drunten oder im Wasser unter der Erde ist." Diese Formulierung
hätten in alter Zeit alle die von Maimonides beschimpften Anhänger
sogenannter Astralreligion Juden, Christen und Mohammedaner nannten
sie "verächtlich" auf Anhieb verstanden. Die Hawaiier
hätten gesagt. o.k. das sind die Welten von Kane, Ku und Lono*,
die Inder: das sind Uttaramârga, Madhyamamârga, Dakshinamârga,
der nördliche, mittlere und südliche Weg, die alten Griechen
hätten auf die Aufteilung der Welt unter Zeus, Poseidon, und
Hades verwiesen, steinalte Juden im Zweifelsfall auf Sem, Ham und
Japhet; die Babylonier aber hätten sich, wohl mit Recht, gebrüstet,
es handle sich schließlich um ihre Idee, nämlich um die
Wege von Anu, Enlil und Ea. Man nennt diese Zonen auch die Welten
der Götter, der Lebenden und der Toten, oder der Ahnen.
(*cf. für Maori Polyn.II,5)
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