WELT-ALTER

 

(Vorlesung aus dem Jahre 1966, gehalten von

Frau Prof. H. v. Dechend

 

an der J.W.v.Goethe Universität, Frankfurt am Main)

 

 

 

Intro

(Seiten 1 und 2)

Weltalter - da denkt jeder ehemalige Gymnasiast, gelinde erschauernd, an die Zeit, als er Ovid's "Aurea prima sata est aetas" auswendig lernen musste. Fortgeschrittene denken an Hesiod's Werke und Tage (érga kai hemérai), und von den indischen Yugas hat jeder einmal wispern hören, speziell von dem miserabligen Kali-Yuga, in dem zu leben wir das zweifelhafte Vergnügen haben. M.a.W. wir realisieren "Weltalter", wenn der geprägte Begriff, das "Motiv", der Fachausdruck Weltalter in unser Ohr gebrüllt wird, bezw. sich fettgedruckt in Lehr- und Handbüchern findet.
'Motiv' und 'Fachausdruck' sind indessen viel zu schmeichelhafte Bezeichnungen; wir haben allenthalben mit bloßen Namen zu tun, die den Phänomenen von arrivierten Schriftgelehrten der letzten 150 Jahre aufgestempelt worden sind. Es ist nun leider an dem, dass die Gutachten der Kommission, der es obliegt festzusetzen, ob ein Kind Meier oder Müller heißen, d.h. unter welchem Familiennamen es in die hochheiligen Fachencyclopädien soll eingetragen werden - dass diese Gutachten um ein Vielfaches unzuverlässiger sind als moderne Vaterschaftsgutachten, sodass lauter brave, unverkennbare Meierleins sub verbis Schulze, Müller, Hinz und Kunz durch die Fachbücher geschleift werden.
Dementsprechend finden wir säuberlich getrennt etwa Weltalter und Weltschöpfung, weil die Namen verleihende Kommission nicht bemerkt hat, dass Welt = Weltalter, und es vorzieht von Versionen von Weltschöpfungsmythen zu sprechen.D.h. sie hält dafür, es gäbe nur eine Welt, über deren einmaliges Zustandekommen - bei jeweils den gleichen Völkern, in den gleichen heiligen Schriften - verschiedene Vorstellungen obwalteten.Wir haben schon des öfteren darüber geredet, was da passiert ist, dass nämlich die Zeit, die einzig zählende Dimension des Mythos, auf das sorgfältigste, und mit mustergültigem Fleiß aus den Mythen eliminiert, extrahiert worden ist. Grob übertrieben: in Unkenntnis der Notenschrift hat man die Seiten der Partitur einer gewaltigen Kunst der Fuge für unterschiedliche Welt-Bilder genommen. Es ist leicht auszurechnen, was für Interpretionsresultate herauskommen müssen, wenn man für - voneinander abweichende - Bilder einer einzigen unveränderlichen,ausschließlich räumlich konzipierten Welt erklärt, was gemeint war als Berichterstattung über Zeitzyklen und ihren Rhythmus.
Beinahe alle großen Mythen und Epen schildern den Niedergang eines Weltalters, und das Heraufkommen eines neuen .d.h. sie verfahren etwa wie der Plötz: Fettgedruckt werden Kriege, besonders denkwürdige Schlachten und Friedensverträge; in petit erfährt man: Dazwischen blühten Handel und Wandel, Kunst und Wissenschaft. Nur die großen Krisenjahre werden ausgemalt, die Zwischenzeiten füllt man gerne aus mit Geschlechtsregistern, sog. Katalogen am deutlichsten sichtbar im Alten Testament und in polynesischen Mythen.
Da es einerseits in den Epen kriegerisch und wild zugeht, und andererseits immer die plattesten Interpretationen die erfolgreichsten sind - und das Platteste ist und bleibt der Euhemerismus, über den sich Plutarch schon so gegiftet hat - so werden astronomische und kalendarische Ereignisse als Eroberungskriege einwandernder Völkerstämme 'verstanden' (Coomaraswami über RV [A. K. A. Coomaraswami, A New Approach to the Vedas. An Essay in Translation and Exegesis, London 1933]): bestenfalls concediert man die Möglichkeit, es würde über die Spezialgötter dieser oder jener einwandernden Population gehandelt: die Grundtendenz bleibt euhemeristisch.
Da sich nun einmal kein Haus errichten lässt, ehe man den Bauplatz "enttrümmert" hat, um es modern zu formulieren, trachten wir danach, möglichst geschwind die Fehlerquelle, bezw. die Drachenbrut sehenswerter Fehlleistungen in den Blick zu bekommen, und hören uns behufs dessen zwei Kernsätze aus Roscher's Mythologischem Lexikon[s. I] an, wo ein Herr Seeliger uns 55 Spalten lang über antike Weltalterlehre orientiert, und bei dieser Gelegenheit Folgendes unter sich lässt (Sp.391):
"Parallelen zu der Vorstellung von einem goldenen Zeitalter und dem Wechsel der Geschlechter finden sich bei vielen Völkern.In die Vorzeit den Zustand irdischer Vollkommenheit zu verlegen, ist zwar ungeschichtlich, aber begreiflich bei der Neigung volkstümlicher Phantasie, die Urzeit märchenhaft zu verklären, begreiflich daher auch, dass derartige Sagen, vom gleichen Ausgangspunkt in gleicher Richtung weitergehend, ohne Abhängigkeit voneinander bei verschiedenen Völkern entstehen."
Später (Sp.422) wird konstatiert:
"Die Vorstellung von der erhofften Welterneuerung durch einen Göttersohn am Ende einer Weltperiode gehört zu den Völkergedanken, die ohne Übertragung oder Entlehnung überall in derselben Form ausgeprägt werden."
Wir wollen es dem Autor nicht ankreiden, dass er Worte durcheinanderschmeißt, seine Absicht ist unverkennbar. Er wollte nicht sagen, die Welterneuerungshoffnung sei ein Völkergedanke, d.h. er meinte natürlich, dies sei ein Elementargedanke: gemeinsamer Nenner; Präger beider Begriffe ist Adolf Bastian[s. I] gewesen, der ihnen 1859 zum Leben verhalf in seiner ersten ethnologischen Publikation "Der Mensch in der Geschichte". Hören wir zu dieser überaus einflussreichen Theorie die Ansicht der Paters W. Schmidt und W. Koppers (Der Mensch aller Zeiten. Gesellschaft und Wirtschaft der Völker. Regensburg 1924.p.31f.) [s. I]:
"Sie (die Theorie) lehrt, dass die innerste Natur der menschlichen Psyche bei allen Rassen und unter allen Himmelsstrichen in ihren Veranlagungen und Bedürfnissen im wesentlichen gleich sei; gleich sei auch im wesentlichen die Art und Weise, wie diese Anlagen sich betätigen, die Bedürfnisse sich Befriedigung verschaffen in der Erfindung der verschiedenen Werkzeuge, der Bildung der sozialen Institutionen, dem Inslebentreten religiöser Anschauungen und Kultformen. Gewisse Modifikationen, aber unwesentlicher Natur, bringe nur der sog. 'Völkergedanke' hervor, d.h. die nach jedem Volke wechselnde Verschiedenheit der klimatischen, geographischen und sonstigen äußeren Verhältnisse."

 

End of Intro

(Fortsetzung ab p12)

 

 

Das Hintergrundsbild stammt von:

William Turner: Stonehenge, 1825, watercolour, 28 x 41 cm

Salisbury and South Wiltshire Museum

Part 1