Weltalter - da denkt
jeder ehemalige Gymnasiast, gelinde erschauernd, an die Zeit, als
er Ovid's "Aurea prima sata est aetas" auswendig lernen
musste. Fortgeschrittene denken an Hesiod's Werke und Tage (érga
kai hemérai), und von den indischen Yugas hat jeder einmal
wispern hören, speziell von dem miserabligen Kali-Yuga, in
dem zu leben wir das zweifelhafte Vergnügen haben. M.a.W. wir
realisieren "Weltalter", wenn der geprägte Begriff,
das "Motiv", der Fachausdruck Weltalter in unser Ohr gebrüllt
wird, bezw. sich fettgedruckt in Lehr- und Handbüchern findet.
'Motiv' und 'Fachausdruck' sind indessen viel zu schmeichelhafte
Bezeichnungen; wir haben allenthalben mit bloßen Namen zu
tun, die den Phänomenen von arrivierten Schriftgelehrten der
letzten 150 Jahre aufgestempelt worden sind. Es ist nun leider an
dem, dass die Gutachten der Kommission, der es obliegt festzusetzen,
ob ein Kind Meier oder Müller heißen, d.h. unter welchem
Familiennamen es in die hochheiligen Fachencyclopädien soll
eingetragen werden - dass diese Gutachten um ein Vielfaches unzuverlässiger
sind als moderne Vaterschaftsgutachten, sodass lauter brave, unverkennbare
Meierleins sub verbis Schulze, Müller, Hinz und Kunz durch
die Fachbücher geschleift werden.
Dementsprechend finden wir säuberlich getrennt etwa Weltalter
und Weltschöpfung, weil die Namen verleihende Kommission nicht
bemerkt hat, dass Welt = Weltalter, und es vorzieht von Versionen
von Weltschöpfungsmythen zu sprechen.D.h. sie hält dafür,
es gäbe nur eine Welt, über deren einmaliges Zustandekommen
- bei jeweils den gleichen Völkern, in den gleichen heiligen
Schriften - verschiedene Vorstellungen obwalteten.Wir haben schon
des öfteren darüber geredet, was da passiert ist, dass
nämlich die Zeit, die einzig zählende Dimension des Mythos,
auf das sorgfältigste, und mit mustergültigem Fleiß
aus den Mythen eliminiert, extrahiert worden ist. Grob übertrieben:
in Unkenntnis der Notenschrift hat man die Seiten der Partitur einer
gewaltigen Kunst der Fuge für unterschiedliche Welt-Bilder
genommen. Es ist leicht auszurechnen, was für Interpretionsresultate
herauskommen müssen, wenn man für - voneinander abweichende
- Bilder einer einzigen unveränderlichen,ausschließlich
räumlich konzipierten Welt erklärt, was gemeint war als
Berichterstattung über Zeitzyklen und ihren Rhythmus.
Beinahe alle großen Mythen und Epen schildern den Niedergang
eines Weltalters, und das Heraufkommen eines neuen .d.h. sie verfahren
etwa wie der Plötz: Fettgedruckt werden Kriege, besonders denkwürdige
Schlachten und Friedensverträge; in petit erfährt man:
Dazwischen blühten Handel und Wandel, Kunst und Wissenschaft.
Nur die großen Krisenjahre werden ausgemalt, die Zwischenzeiten
füllt man gerne aus mit Geschlechtsregistern, sog. Katalogen
am deutlichsten sichtbar im Alten Testament und in polynesischen
Mythen.
Da es einerseits in den Epen kriegerisch und wild zugeht, und andererseits
immer die plattesten Interpretationen die erfolgreichsten sind -
und das Platteste ist und bleibt der Euhemerismus, über den
sich Plutarch schon so gegiftet hat - so werden astronomische und
kalendarische Ereignisse als Eroberungskriege einwandernder Völkerstämme
'verstanden' (Coomaraswami über RV [A. K. A. Coomaraswami,
A New Approach to the Vedas. An Essay in Translation and Exegesis,
London 1933]): bestenfalls concediert man die Möglichkeit,
es würde über die Spezialgötter dieser oder jener
einwandernden Population gehandelt: die Grundtendenz bleibt euhemeristisch.
Da sich nun einmal
kein Haus errichten lässt, ehe man den Bauplatz "enttrümmert"
hat, um es modern zu formulieren, trachten wir danach, möglichst
geschwind die Fehlerquelle, bezw. die Drachenbrut sehenswerter Fehlleistungen
in den Blick zu bekommen, und hören uns behufs dessen zwei
Kernsätze aus Roscher's Mythologischem Lexikon[s.
I] an, wo ein Herr Seeliger uns 55 Spalten lang über antike
Weltalterlehre orientiert, und bei dieser Gelegenheit Folgendes
unter sich lässt (Sp.391):
"Parallelen
zu der Vorstellung von einem goldenen Zeitalter und dem Wechsel
der Geschlechter finden sich bei vielen Völkern.In die Vorzeit
den Zustand irdischer Vollkommenheit zu verlegen, ist zwar ungeschichtlich,
aber begreiflich bei der Neigung volkstümlicher Phantasie,
die Urzeit märchenhaft zu verklären, begreiflich daher
auch, dass derartige Sagen, vom gleichen Ausgangspunkt in gleicher
Richtung weitergehend, ohne Abhängigkeit voneinander bei verschiedenen
Völkern entstehen."
Später (Sp.422)
wird konstatiert:
"Die Vorstellung von der erhofften Welterneuerung durch einen
Göttersohn am Ende einer Weltperiode gehört zu den Völkergedanken,
die ohne Übertragung oder Entlehnung überall in derselben
Form ausgeprägt werden."
Wir wollen es dem Autor nicht ankreiden, dass er Worte durcheinanderschmeißt,
seine Absicht ist unverkennbar. Er wollte nicht sagen, die Welterneuerungshoffnung
sei ein Völkergedanke, d.h. er meinte natürlich, dies
sei ein Elementargedanke: gemeinsamer Nenner; Präger beider
Begriffe ist Adolf Bastian[s.
I] gewesen, der ihnen 1859 zum Leben verhalf in seiner ersten
ethnologischen Publikation "Der Mensch in der Geschichte".
Hören wir zu dieser überaus einflussreichen Theorie die
Ansicht der Paters W. Schmidt und W. Koppers (Der Mensch aller Zeiten.
Gesellschaft und Wirtschaft der Völker. Regensburg 1924.p.31f.)
[s.
I]:
"Sie (die Theorie) lehrt, dass die innerste Natur der menschlichen
Psyche bei allen Rassen und unter allen Himmelsstrichen in ihren
Veranlagungen und Bedürfnissen im wesentlichen gleich sei;
gleich sei auch im wesentlichen die Art und Weise, wie diese Anlagen
sich betätigen, die Bedürfnisse sich Befriedigung verschaffen
in der Erfindung der verschiedenen Werkzeuge, der Bildung der sozialen
Institutionen, dem Inslebentreten religiöser Anschauungen und
Kultformen. Gewisse Modifikationen, aber unwesentlicher Natur, bringe
nur der sog. 'Völkergedanke' hervor, d.h. die nach jedem Volke
wechselnde Verschiedenheit der klimatischen, geographischen und
sonstigen äußeren Verhältnisse."
End
of Intro
(Fortsetzung ab p12)
Das
Hintergrundsbild stammt von:
William
Turner: Stonehenge, 1825, watercolour, 28 x 41 cm
Salisbury
and South Wiltshire Museum
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