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Wir hatten aufgehört mit der timäischen Definition von Zeit
(37 D), als "ein nach der Vielfalt der Zahl sich fortbewegendes
Abbild der in Einheit verharrenden Ewigkeit", (menontos aionos
en heni kat' arithmon iousan aionion eikonao).
Zugespitzt könnte man das als das Herz der archaischen Kosmologie
ansprechen: wer es nicht schlagen hört, dem bleibt diese alte
Welt, die Zeit war, tot. (Gegensatz, Nicht-Welt: das vorgefundene
plemmelos kai atakteos kinoumenon). Diese Zeit ist nun aber nicht
die Zeit, die wir gewohnt sind von unseren, sagen wir: Schrumpf-Chronometern,
abzulesen, auf denen der kleine Zeiger die Sonne, der große
Zeiger den Mond nachahmt. Wenn Sie einzig Sonne und Mond in Betracht
ziehen, so bleibt Ihnen notwendiger Weise die Harmonike mundi verschlossen,
und uneinsichtig die zwar optimistische, aber so aufschlußreiche
Behauptung der Chinesen, wonach die Stimmpfeifen und der zyklische
Kalender einander ihre wechselseitige Ordnung so praecise geben, dass
man kein Haar dazwischen klemmen kann. Die ungeheure Bedeutung der
Harmonielehre für den pythagoräischen, und den protopythagoräischen,
Kosmos ist schlechterdings unverständlich, wenn man die Planeten
unterschlägt.
Als das Verständnis erleichternde 'Brücke' schlage ich zum
lOOl-ten Male vor, sich die Kunst der Fuge gewärtig zu halten.Mathematisch
wie sie ist, viel zu mathematisch, um im landläufigen Sinne als
herzerquickend acceptiert zu werden, kommt sie mit ihren Tripel- und
Quadrupel-Spiegelfugen dem Timaios am allernächsten. Wenn Bach
den Timaios gelesen hätte (ich weiß nicht, ob er's tat),
so hätte er vielleicht erwogen, sich selbst für eine Re-inkarnation
von Platon, oder aber von Timaios, zu halten, genau wie Kepler mit
dem Gedanken spielte, Pythagoras sei in ihm wiedergekehrt.
Es kommt hier im Moment auf die folgende
Formulierung an:
So entstand denn also die Zeit zugleich
mit der Welt, damit beide, zugleich ins Leben gerufen, auch zugleich
wieder aufgelöst würden, (wenn ja einmal ihre Auflösung
eintreten sollte), und nach dem Urbilde der schlechthin ewigen Natur,
damit die Welt ihr so ähnlich als möglich werde...(38B)
Zufolge solcher Betrachtung und Überlegung
Gottes in bezug auf die Zeit entstanden, damit diese hervorgebracht
werde, Sonne, Mond und die fünf anderen Sterne, welche den Namen
der Wandelsterne tragen, zur Unterscheidung und Bewahrung der Zeitmaße."
(38C)
Es ist, gelegentlich, eingewandt worden,
auch wenn es nur den Umschwung der Fixsternsphäre, bzw. die Rotation
des Planeten Erde gäbe, so könne man doch Tage zählen
und mithin Zeit. Platon weiß indessen ganz gut, wovon er redet,
an Vorstellungskraft fehlt es ihm nicht, und er fügt seine seira
(im Theaitetos die Sonne) aufs beste in den Zusammenhang, wenn er
sagt:
"Damit aber ein deutliches Maß für das gegenseitige
Verhältnis von Langsamkeit und Geschwindigkeit vorhanden wäre,
mit welcher die 8 Umläufe (periodoi) sich bewegten, so zündete
Gott in der zweiten derselben von der Erde ab ein Licht an, eben das,
was wir jetzt Sonne nennen, auf dass es möglichst durch das ganze
Weltall scheine und die belebten Wesen .... des Zahlenmaßes
teilhaftig würden, dessen sie durch die Umkreisung des Selbigen
und Gleichartigen - d.i. der Fixsternsphäre - inne geworden."
Platon, bezw. Timaios definiert anschließend
kurz Tag und Nacht, Monat,Jahr, vom Monat behauptet Eisler, er definiere
klärlich den drakonitischen Monat, und beruft sich gelassen auf
Idelers Handbuch der mathemat. & techn. Chronologie 1, Bln.1825,
p.45ff., wo indessen über Platon und den drakonitischen Monat
nichts gesagt wird: nichts; vieles aber über die Monatsarten
und ihre jeweiligen Benennungen, nebst Anomalie, Peri- und Apogäum,
und was sonst Astronomenherzen erfreut).
Platon, wie gesagt, definiert nychtemeron, Monat und Jahr, und konstatiert
dann ein Faktum (39 CD), das auf unsere Zeit 10 mal besser passt als
auf die seine (1000 mal besser, natürlich, auf unsere philologoi).
"Die Umläufe der übrigen
(d.h. der Planeten) aber haben die Menschen (bis auf wenige unter
den vielen) nicht beachtet und geben ihnen daher weder besondere Namen,
noch messen sie sie gegeneinander zufolge angestellter Beobachtungen
nach Zahlen ab, so dass sie geradezu nicht einmal wissen, dass auch
ihre Bahnen, deren Menge verwirrt und deren Mannigfaltig-keit wunderbar
ist, eine Zeit bezeichnen.Es ist jedoch nichtsdestoweniger möglich,
zu beobachten, dass die vollständige Zeitenzahl auch das vollständige
große Jahr voll macht, dann, wenn die gegenseitigen Geschwindigkeiten
aller acht Umläufe zugleich beendigt zu ihrem Ausgangspunkte
zurückkehren, sofern man sie nach dem Kreise des Selbigen und
sich gleichartig Bewegenden mißt. Auf diese Weise also und zu
diesem Zwecke wurden alle die Sterne hervorgebracht, welche den Weltenraum
in gewundener Linie (=Helix) durchwandern, auf dass diese lebendige
Welt. dem vollkommenen und nur dem Gedanken erfassbaren Lebendigen
so ähnlich als möglich werde in Nachahmung seiner schlechthin
ewigen Natur."
Nachdem der Demiurg mit der Konstruktion
des Weltgefüges fertig geworden war, erschuf er Seelen, und zwar
in gleicher Anzahl wie die Fixsterne (isarithmous tois astrois).Jede
Seele setzte er auf den ihr zugehörigen Fixstern und
"zeigte ihnen die Natur des Alls und verkündete ihnen die
vom Schicksal verhängten Gesetze."
Nach Schulschluß verpflanzte
er die Seelen auf die einzelnen "einer jeden (Seele) entsprechenden"
Werkzeuge der Zeit, die Planeten. (41E: eis ta prosekonta hekastais
hekasta organa chronon. Bei der Wiederholung in 42 D heißt es
ausdrücklich, die Seelen wurden verpflanzt auf die Erde, den
Mond, und alle anderen Instrumente der Zeit).
Exit der Demiurg.Die gigantische Uhr
wird in Gang gesetzt, aus deren Zahnräderwerk die bedauernswerten
Seelen vergeblich zu entweichen trachten. Seelen, die sich tadelfrei
aufführen, dürfen sogleich nach "Bewältigung"
der ersten Existenz auf ihren Fixstern zurückkehren.Weniger braven
Seelen steht eine endlose Reihe von menschlichen und tierischen Inkarnationen
bevor. Der Mensch soll, so heisst es,
"in steter Verwandlung nicht eher an das Ziel seiner Leiden gelangen
als bis er, dem Umschwung des Selben und Gleichartigen in sich folgend,
jener wirren und vernunftlosen Masse, welche sich später aus
Feuer, Wasser, Luft und Erde ihm angesetzt, durch die Vernunft Herr
geworden und so die Gestalt seiner früheren und edelsten Beschaffenheit
zurückgekehrt wäre."
Platon sagt es nicht expressis verbis,
aber aus dem reichlichen Vergleichsmaterial (Timaios 39CD) darf man
schließen, dass die armen Seelen schlimmstenfalls warten müssen,
bis alle Bewegungen an ihren Ausgangspunkt zurückgekehrt sind,
d.h. bis alle Planeten sich an der Ausgangsstation im Tierkreis zusammenfinden.
Laut 42 D hält der Demiurg die Belehrung ab zu dem gleichen Behuf,
zu dem Pilatus seine Hände wusch: er erklärt sich für
unschuldig an zukünftigen Misse-taten gleichwelcher Seelen. Es
kommt hier, meines Erachtens, Platon nicht so sehr auf die Etablierung
von Gottes Unschuld an, als auf die Behauptung der, sozusagen 'Allem-zum-Trotz'
Selbstverantwortlichkeit der Seele.Es kann schlechterdings keine Ethik
geben ohne solche Selbstverantwortlichkeit und, bei Lichte besehen,
kann ohne sie ein Mensch nicht leben - diese Illusion ist konstitutionell.Auf
die allerkürzeste Formel hat das Nietzsche in einer seiner 'Bösen
Wahrheiten' gebracht: Wer die Willensunfreiheit fühlt, ist geisteskrank;
wer sie leugnet ist dumm.
Die Unschuld des Demiurgen versteht sich im Timaios von selbst: er
hatte ja das ungeordnet und ohne Takt Bewegte vorgefunden,nicht etwa
erschaffen (30A).Die verdutzten Seelen erhielten jedenfalls keine
Gelegenheit, Beschwerde gegen ungleiche Startbedingungen einzulegen,
bzw.zu argumentieren, dass der Demiurg zwar von gleichen Chancen sprach,
sich aber nicht an seine Worte hielt - nicht halten konnte. Mit einer
Mars-Seele kommt man schwerer über die Runden als mit einer vom
Jupiter z.B.
Hinter dem vom Demiurgen vorgenommenen Verpflanzen der Seelen von
ihrem Fixstern auf die "ihnen entsprechenden" Planeten steckt
ein vorderhand noch zappendusteres System von Zuordnungen der Planeten
zu Fixsternen, nicht etwa nur solchen im Tierkreis. Wenn Sie Gößmanns
Planetarium Babylonicum einmal überfliegen, sehen Sie bei allen
Sternen und Konstellationen angegeben, welche Planeten sie "vertreten",
und umgekehrt; die Tetrabiblos des Ptolemäus vermerkt jeweils
den planetarischen 'Charakter' der einzelnen Sterne.
Franz Boll, unterstützt von Carl Bezold hat in seiner Abhandlung
"Antike Beobachtungen farbiger Sterne" (ABAW,phil/hist.
Kl.30.l,München 1916) versucht, solche Sternverwandtschaften
auf die gemeinsame Farbe zurückzuführen; das sieht in vielen
Fällen ziemlich überzeugend aus, allen zuvor bei Mars-Sternen,
wie Aldebaran und Antares, aber zur Aufklärung des ganzen Systems
reicht diese 'Farbentheorie' nicht aus.
Angesichts der Fixsternseelen, d.h. der Seelen, die in gleicher Anzahl
wie die Fixsterne erschaffen wurden, könnten Bedenken laut werden,
man möchte mit der damals bekannten Zahl von Fixsternen schwerlich
ausgekommen sein, unserer heutigen Überbevölkerung nicht
zu gedenken - wobei jeder an seine eigene kochgeschätzte Individual-Seele
denkt. Die indessen zählt nicht. So wie die Zeit, hervorgebracht
durch die Bewegungen der 7 organa chronou und den Umschwung de Fixsternsphäre,
so wie diese Zeit als das bewegte Abbild der Ewigkeit geschaffen wurde,
so müssen Sie unsere individuellen Seelen als bewegte Abbilder
der einen Fixsternseele zu verstehen suchen. Nur der erste Vorfahr
(bzw.die erste Urmutter) "gilt". Einer war er, als er auf
seinem Fixstern saß und über seine unerfreulichen Zukunftsaussichten
belehrt wurde.Und Einer wird er wieder sein, wenn "an jenem Tage"
Jahwe die flüchtige Schlange und die gewundene Schlange vernichten
wird. Die Christen haben das Schema überhaupt nicht mehr verstanden
und haben es dem Origenes als Häresie angekreidet, dass er die
Ansicht vertrat, die am Jüngsten Tag wiedererweckten Seelen würden
einen ätherischen und kugelrunden Körper annehmen (aitherion
te kai sphairoeides). Solange aber die Zeit regiert, und mithin die
Welt besteht, ist die Fixsternseele in ungezählte Teilchen aufgespalten,
in alle die vielen Seelen der Nachfahren jenes Einen, der da auf seinem
Fixstern Unterricht erhielt.
Im Adam, heißt es im Talmud, waren die 600 000 Seelen der Juden
enthalten wie in einem aus ungezählten Fäden zusammengezwirnten
Docht. Bei allen Nachfahren handelt es sich ausschließlich um
den "Samen", von dem einer stammt. Wenn von Gleichnissen
rund um das Samenkorn die Rede ist, so denken die meisten ans Brotgetreide
und ans Futtern im Rahmen des generellen Fertilitäts-Rummels
- gemeint ist der zwischen den Zahnrädern der Zeitmaschine sich
vervielfältigende und zu Staub zermahlene Same der Fixsternseele.
Wir (homines sapientes) haben keinen Grund zur Beschwerde, da es auf
einer wesentlich höheren Ebene, bei den planetarischen Göttern
und Helden, nicht anders hergeht; die Inder lassen sich am deutlichsten
aus und reden von "Portionen". So vereinigt sich am Ende
des Mahabharata (auch im Vishnu Purana) Krishna, eine Portion Vishnus,
wieder mit diesem, Arjuna, eine Portion Indras, geht in diesen ein,
Bala Rama in die Sesa-Schlange, Yuddhisthira wird von Dharma wieder
angeeignet usf.Wir haben es mit einem wohldurchdachten System zu tun,
einem viel zu ausgeklügelten, als dass es intakt hätte auf
uns kommen können.
Allerdings kann ich mich häufig des Verdachts nicht erwehren,
als sei es noch gar nicht so lange her, dass männiglich Bescheid
wußte: nur wir nicht - vorzüglich unserer vermaledeiten
Besserwisserei zufolge. Da haben wir eine christliche Wissenschaft
vom Alten Testament - über die Lektüre rabbinischer Literatur
sind wir erhaben. Dort stehen die "Portionen" nämlich
auch, sie werden nur nicht so genannt; aber dass die Schlange im Paradies
der rote Planet Mars ist, und Kain, und Esau/Edom, Abimelech und Sammael,
und der Sündenbock usf., das steht drinnen, und alle Zeugnisse
sind schönstens versammelt in dem erschröcklich dicken Schinken
von Eisenmenger: Entdecktes Judenthum (1711)(das ist kein "Glück",
das ist ein Gebirge). Anstatt sich um dergleichen Interpretationen
zu kümmern, und erst einmal zu versuchen, den Bibel-Text genau
so wie er da steht, zu ergründen, betreibt man die vielgerühmte
Textkritik, erfindet Elohisten und Jahwisten und streicht alle Worte,
die einem nicht in den Kram passen. Und aus dem Rigveda, dessen Silbenzahl,
Verszahl usf. seit weit mehr als 2000 Jahren unerschütterlich
fest steht, streichen die nassforschen Indologen (seit rund der Jahrhundert-Wende)
fette Text-Brocken heraus, erklären für unecht, späte
Nachträge und derlei, weil sie nicht die leiseste Ahnung haben,
wovon die Rede ist.Agastya etwa wird als "eine schwer zu fassende
Persönlichkeit" denunciert: Agastya ist der Canopus.Reimen
Sie sich den Rest.
Mit Hilfe des Schlüsselwortes 'Fixstern-Seele', das Platon uns
geschenkt hat, wird sich im Laufe der Zeit der Ursprung des Totemismus
aufklären lassen und das von den Soziologen sorgsam umgangene,
bzw. garnicht ermessene, Problem der Entstehung unilinearer Familienverbände.
Dass die Totemtiere Konstellationen oder Einzelsterne sein müssen,
auf den Gedanken sind schon mehrere gekommen (z.B.Röck, Bork),
manche (besonders indianische & polynesische) Mythen lassen das
deutlich erkennen.Die Frage, wie man - vor einer halben Ewigkeit -
darauf verfallen ist, bei patrilinearen Clanen die Kinder als schlechterdings
nicht verwandt mit der Mutter, in matrilinearen Sippen als nicht verwandt
mit dem Vater zu erachten, diese Frage ist bislang nur von Hermann
Baumann aufgeworfen worden: beantwortet ist sie noch nicht. Es kommt
mir so vor, als sei die Fixsternseele ein "zureichender Grund"
zur Entstehung von so gründlich unnatürlichen, anti-physiologischen
Modellen. Es ist irrelevant, ob man sich heute noch irgendwo in der
noch überlebenden Naturvölkerwelt dieser Entstehung bewusst
ist. Und wenn man's wäre, würden es die Ethnologen nicht
herauskriegen, weil sie die passenden Fragen nicht stellen können
.
'Angewandte Kosmologie', wenn man so sagen darf, ist jedoch unsere
Sorge nicht. Viel fataler, und unter die Haut gehend, ist in unserem
Zusammenhang die Frage: wie wirken sich die mit den Weltaltern so
häufig verbundenen Katastrophen auf die kontinuierliche Descendenz
der Fixstern-Nachfahren aus? In einer Flut sollen ja alle, bis auf
Einen nebst Familie, zu Grunde gehen; und so heißt der noch
einmal davongekommene Utnapishtim denn auch wörtlich "Same
der Menschheit". Und die Juden gedenken in Abrahams Schoß
heimzukehren: von Adam ist da die Rede nicht mehr. Ansätze zur
Beantwortung der Frage sind vorhanden, und ich bin keineswegs verzagt;
es wird aber noch geraume Weile dauern, ehe aus dem Chaos von Indizien
und Vermutungen ein halbwegs plausibles Schema herauswächst.
Mit Gewalt und sog. Willensanspannung läßt sich nichts
erreichen, und so müssen wir diesen Abgrund - mega chasma pelorion
entha kai entha - unüberbrückt gähnen lassen.
Ungeachtet also unterbrechender Katastrophen:
zwischen den Inkarnationen treiben sich die Portionen oder Teilchen
in himmlischen Quartieren herum, und finden sich früher oder
später in der Milchstraße ein, um von dort aus reinkarniert
zu werden.
(Das auserwählte Volk glaubt's nicht, dass unsereins jemals dorthin
gelangt: die Seelen der 70 Völker werden in den expansis, Vesten
oder Ausdehnungen der 7 Planeten umeinander getrieben, und im Großen
Jubeljahr findet die "Verstörung" von den Keliphot
= Schalen, i.e. Planetensphären, statt, und es "wird kein
Volk mehr übrig bleiben" Eisenmenger 2, pp.8f,11, 13f.,15.
p.16:Emek hamelech: der Sohn Davids (Messias) kommet nicht, bis dass
alle Seelen, die an dem Leib des ersten Menschen gewesen seynd, ein
Ende nehmen.).
Die Jenseits-Topographie ist noch
weitgehend unerforscht dank des obherrschenden Wahns, das Totenreich
sei im Inneren des Planeten Erde. Vorgearbeitet hat Franz Boll in
der Sphaera und "Aus der Offenbarung Johannis", in Indien
werden zuweilen konkrete Angaben gemacht - in diesem Semester ist
es nicht unsere Aufgabe, die Totenwelt auch nur oberflächlich
zu vermessen; es genügt festzustellen, dass die Galaxis im Goldenen
Zeitalter Weg und Rennbahn von Sonne und Planeten - fort und fort
die Straße der Toten bleibt.Das ist eine offiziell als pythagoräisch
anerkannte Doktrin und immer, wenn das der Fall ist, dürfen Sie
auf eine ansehnliche Verbreitung rund um unseren Globus wetten.
Die Zeit, Ihnen eine bescheidene Blütenlese, quer Beet von Ägypten
bis Brasilien, anzubieten, wird sich hoffentlich noch finden,Besonders
auffallend ist, dass man in Gegenden, wo die große Weltuhr mit
ihren 7 oder 9 Zeigern und präcedierendem oder nutierendem Zifferblatt
nicht plötzlich durch eine Offenbarungsreligion und deren unilineare,
anti-cyklische Heilsgeschichte stillgelegt wurde, dass man dort mitunter
die "Rückkehr der Milchstraße auf die Erde" realisiert
hat; so können im südpolynesischen Mangaia die Totenseelen
die Himmelsreise einzig an den Solstitien antreten -die Toten vom
Norden der Insel am einen, die vom Süden der Insel am anderen
Solstiz; der Unglückliche, der einen Tag nach dem Solstiz stirbt,
wird lebhaft beklagt: er muss ein volles Jahr warten. Das ist völlig
korrekt: seit Beginn unserer Zeitrechnung stehen Gemini und Sagittarius
an den Solstitialpunkten - im Goldenen Zeitalter regierten sie die
Äquinoktien.
"Dies war einst der Weg, den
Phoibos fuhr", sagt der Manilius von der Milchstraße. Phoibos
tat so bis zum Sturze des Phaeton, breit geschildert hinwiederum von
Nonnos (im 38. Buch, siehe Anhang), ein wenig sparsamer von Ovid,
von Manilius und Macrobius; die beiden Letztgenannten geben gleich
die Ansichten aller Philosophenschulen über diesen "Fall"
wieder (Gundel RE, Galaxien). Phaetons Fall vom Sonnenwagen hat die
alte Sonnenbahn, die Milchstraße, als ausgebrannte Spur zurückgelassen
- cicatrix, Narbe, sagt der Manilius.
Geschwind zwei außereuropäische Beispiele, auf dass Sie
nicht an griechische Erdichtungen /Erfin-dungen denken: Die (Ba) Fiote
an der afrikanischen Loango-Küste sagen, die Milchstraße
sei der Leichenzug eines ungeheuren Sterns, der einst heller leuchtete
als die Sonne. Im Nordwesten Amerikas, wo es keine Wagen gab, erklomm
der Sohn der Sonne mittels Pfeilkette den Himmel, ging zum Haus des
Sonnenmannes, und sprach:
"Vater, ich möchte gern
morgen deine Stelle einnehmen." Der Sonnenmann war einverstanden,
sagte ihm aber:"Pass auf, dass du die Menschen nicht verbrennst.
Ich gebrauche am Morgen nur eine Fackel und vermehre allmählich
ihre Zahl bis zum Mittag.Am Nachmittag lösche ich wieder eine
nach der anderen aus."
Am folgenden Morgen nahm der Knabe die Fackeln des Vaters und stieg
auf dem Pfade der Sonne empor. Aber viel zu rasch hatte er alle Fackeln
entzündet, so dass es glühend heiß auf der Erde wurde.Die
Wälder begannen zu brennen, die Felsen barsten, und viele Tiere
sprangen ins Wasser, um sich zu retten, aber auch das Wasser fing
an zu kochen. Die junge Frau (Mutter des Sonnensohnes) bedeckte die
Menschen mit ihrem Mantel und rettete sie so; viele Tiere verkrochen
sich unter Steinen....Als der Sonnenmann sah, was sein Sohn angerichtet
hatte, packte er ihn, schleuderte ihn auf die Erde hinab und sagte:"Von
nun an sollst du der Nerz sein" (Krickeberg: Märchen Nord-Amerika.Jena
1924, pp.224f, 396).
(Dieser unscheinbare Nerz führt
hernach Ebbe und Flut ein (mittels Wolfsschwanz), stiehlt das Feuer,
legt sich mit den Winden an und betätigt sich als das, was die
von jeder Sachkenntnis ungetrübte moderne Fachsprache mit dem
Titel "Kulturbringer" bezeichnet).
Nonnos stellt bei der Beschreibung
des Phaeton-Sturzes fest:
"There was tumult in the sky shaking the joints of the immovable
Universe; the very axle bent which runs through the middle of the
revolving heavens," und der Libysche Atlas konnte kaum die schwankende
Last ausbalancieren. Direkt ehe es zu der Katastrophe kommt, warnt
Venus Morgenstern den Knaben:
"Let there not be a second chaos; and the stars of heaven appear
at the rising day, or erratic Dawn meet Selene at noonday in her car"
(me chaos allo genoito).
Das erste Chaos bezieht sich ganz unmißverständlich auf
die Typhoneia. Sie haben vielleicht nichts dagegen, aber das ist auf
Ihre harmlose Unbefangenheit zurückzuführen - da stimmt
etwas nicht, und ich wage noch nicht zu entscheiden, wer oder was
da nicht stimmt.Meine Mutmaßung geht dahin, dass es dem Nonnos
ungereimt vorkam, den ???, bzw. Knotendrachen zu spät einzuführen
und damit quasi vorzugeben, früher seien die Planeten alle in
der Ekliptik herumgezogen, so verpflanzte er ihn an den Anfang aller
Ereignisse, ins 1. und 2.Buch.Wohlgemerkt: das ist eine völlig
unverbindliche Mutmaßung; sie zu erhärten und zu beweisen
- stecken Sie mal Ihre Nase nur für Minuten in die drei Bände
Nonnos, und Sie werden verstehen, dass ich es erst mal bei Mutmaßungen
belasse. Immerhin haben wir seit Hesiod die Tradition, dass Typhon
"hinter", nach den Giganten kommt, und denen waren ja die
Titanen vorangegangen. Und Phaeton war ein Titan.Gleichwohl: Nonnos
ist ein eminent sach-verständiger Gelehrter, mit dem sich kein
Angehöriger unseres unsachverständigen Jahrhunderts anlegen
sollte. (Es weiß auch keiner bislang eine Antwort auf die geheimnisvolle
Tat-sache, dass in diesem von Konstellations-Namen überquellenden,
rein astrologischen Werk deren eine niemals nicht, kein einziges Mal
erwähnt wird: die Gemini). Wer seine Hoffnung auf Stegemann baut,
hat mit einer Sandburg am Meeres-Strand zu rechnen - er hält
es mit § 1 des Grundgeetzes "Hipparch-der-Entdecker...".
Etwa stellt er fest (S.18):
"Die Weltachse ist geneigt (Dion.38.350, vgl. 1.232); diese Tatsache
wird in Zusammenhang mit Phaetons Fahrt gebracht; das ist offensichtlich
eine aitiologische Legende, die entweder aus unbekannter Quelle stammt
oder von Nonnos erfunden ist."
Diese Begriffsstutzigkeit ist umso verwunderlicher, als Stegemann
selbst vom Phaeton-Sturz zur Typhoneia zurückverweist, bei deren
Toben Atlas die Achse auch nicht halten konnte. Zudem belehrt Helios
seinen Sohn Phaeton vor dieser unglücklichen Fahrt ganz unmissverständlich
über den "allein schief-liegenden, vielgebogenen Pfad der
unsteten Planeten"(38. 222f., Stegemann 29).
Sollte ich hier begriffsstutzig bezüglich
Stegemann sein, und der sollte meinen, Phaeton werde dafür verantwortlich
gemacht, dass der Polarstern nicht senkrecht über des Nonnos
Wohnsitz erglänzte, dann müssen Stegemanns Sinne sich vorübergehend
absentiert haben.Mit dem Befund, dass nur am irdischen Nordpol Polaris
über dem Beobachter im Zenith steht, war Nonnos so vertraut wie
alle seine Vorläufer. Kurzum, weder ist der Mythos von Phaeton
eine aitiologische Legende für gleichwelche Schiefe oder Geneigtheit,
noch hat Nonnos was erfunden; wie häufig betont, erfindet es
sich nicht so leicht. Aber wem weder die aus den Fugen geratene Weltachse
- alswelches Ereignis Jupiter "auf den Brauen von Taurus"
erwartet - etwas 'sagt', noch auch drei Sintfluten, dem ist halt nicht
zu helfen.
Andere Interpreten, unter ihnen kein geringerer als Kugler, wollen
den Phaeton zu einem gewaltigen Meteor machen. Es handelt sich da
um eine häufig anzutreffende Spielart von Euhemerismus, die zur
Zeit von Velikovsky auf lächerlichste Manier hochgespielt wird.
Verstehen Sie recht: an stattgehabten Katastrophen ist selbstredend
nicht zu zweifeln; und wenn Sie mit einem Velikovsky- Fan diskutieren,
wird er Ihnen -mit rasendem Munde, wie Heraklit ihn Sibyllen ??? nachsagt
- deren etliche auftischen. Bloß: der Mythos befasst sich nicht
mit ihnen, vielmehr ausschließlich mit Regel-Mäßigem,
sich cyklisch Wiederholendem - er erzählt die Struktur des nach
der Vielfalt der Zahl sich bewegenden Abbildes der Ewigkeit.
Gegen dergleichen pseudo-euhemeristische tellerhafte Deutung haben
wir
wieder den wichtigsten Kronzeugen für uns: Platon. Er läßt
im Timaios(22 C-E) den ägyptischen Priester zu Solon sagen:
"Denn was bei euch erzählt wird, dass einst Phaeton, der
Sohn des Helios, den Wagen seines Vaters bestieg und, weil er es nicht
verstand, auf dem Wagen seines Vaters zu fahren, alles auf der Erde
verbrannte und selber vom Blitz erschlagen ward, das klingt zwar wie
eine Fabel, doch ist das Wahre daran die veränderte Bewegung
der die Erde umkreisenden Himmelskörper und. die Vernichtung
von allem, was auf der Erde befindlich ist, durch vieles Feuer, welches
nach dem Verlauf gewisser großer Zeiträume eintritt."
(to d'alethes esti ton peri gén kat'ouranon iontón parallaxis
kai dia makrôn chronon gignomene ton epi ges pyri pollo phthorá).